Aristoteles

Aristoteles: Die Rhetorik ist die Kunst,
die möglichen Überzeugungsmittel
zu finden.

Dr. Ulonska Training
Institut für Kommunikation
und Management

Lindenteichstraße 8
D - 37124 Rosdorf
Tel: 05545/655-6 

Hans  Riebensahm: Integration psychotherapeutischer Prinzipien in die sprecherzieherische Arbeit

Aus dem Arbeitsbereich Sprechkunde/Sprecherziehung in der Zentralen Einrichtung Sprachlabor der Universität Göttingen

Ich habe meinen Tagungsbeitrag angekündigt unter der Überschrift "Integration psychotherapeutischer Methoden in die sprecherzieherische Arbeit". Als ich diesen Titel gewählt und den Ankündigungstext dazu geschrieben höbe, hatte ich mir noch nicht im einzelnen überlegt, was ich hier vortragen und demonstrieren will, So ist mir heute etwas unbehaglich dabei, mit dem Ausdruck "psychotherapeutische Methodenoden" zu operieren. Der Ausdruck scheint mir zu plakativ und geeignet, bei manchem von Ihnen Erwartungen zu wecken, die ich in diesem Rahmen hier nicht erfüllen kann und will.

Statt von "Methoden" möchte ich lieber von "psychotherapeutischen Prinzipien" sprechen und auch diesen Ausdruck mittels einiger weiterer Ausdrücke umschreiben, um deutlich zu machen, was ich als Thema meine: Was ich also gern in die sprecherzieherische Arbeit integriert sehen möchte, sind gewisse Prinzipien, die sich manifestieren in der Verwendung bestimmter sprachlicher Ausdrücke und Wendungen, in der Bevorzugung bestimmter Strategien und Interventionsformen. Zugleich sind diese Prinzipien auch Ausdruck bestimmter Haltungen des Therapeuten sich 'selbst und dem Patienten gegenüber. Unter einem anderen Blickwinkel lässt sich das, was wir Ihnen hier demonstrieren möchten, auch als "Rhetorik in der Therapie" umschreiben.

Ziel dieser Rhetorik sind emotionale Bedingungen, die dem Patienten  in einem therapeutischen Kontext  ermöglichen bzw. erleichtern, sich zu verändern auf das Ziel hin, das er sich gesetzt hat.

Wir werden Ihnen anschließend eine verkürzte Ausbildungssitzung simulieren in der Art, wie wir sie seit dem Sommersemester 1980 an der Uni Göttingen im Rahmen mehrtägiger Blockveranstaltungen für angehende Sprecherzieher anbieten. Die meisten der acht Teilnehmer dieser Gruppe haben schon mit einzelnen Patienten gearbeitet, einige darüber hinaus auch als Leiterin von Seminaren. Jede/r Teilnehmer/in hat Erfahrung auf einem der beiden Gebiete. Hier in der simulierten Sitzung werden einzelne dieser Erfahrungen dargestellt und gemeinsam ausgewertet.

Die Integration psychotherapeutischer Prinzipien vollzieht sich dabei auf zwei Ebenen: (1) in der simulierten Ausbildungssituation "hier und jetzt", (2) indem ich den Teilnehmerinnen die Anwendung bestimmter Prinzipien bzw. Strategien in ihrer eigenen Arbeit mit Patienten und Gruppen nahe lege.

In unserer bisherigen Arbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass die angehenden Sprecherzieher gelegentlich Überrascht waren von Reaktionen ihrer Patienten oder Kursteilnehmer und wissen wollten: wie sie sich zweckmäßiger Weise im Einzelfall verhalten könnten. Bei der Analyse einzelner Situationen stellte sich heraus, dass viele der als überraschend und unangenehm erlebten Reaktionen der Patienten/ Kursteilnehmer als Ausdruck von Widerstand gedeutet werden konnten. Aus dieser Erfahrung heraus sind wir übereingekommen, uns hier vorwiegend mit dem therapeutischen Umgehen mit potentiellem und manifestem Widerstand zu beschäftigen.

Prinzipien und Strategien zum Umgang mit Widerstand in Therapie und Erwachsenenbildung

Der folgende Text ist teilweise eine Zusammenfassung dessen, was mittels der simulierten Gruppensitzung dargestellt werden soll; zum anderen Teil geht der Text inhaltlich darüber hinaus: die Analysen dreier Ausschnitte aus therapeutischen Dialogen sind nicht Bestandteil, sondern Ergänzung des Tagungsbeitrags.

Was können wir uns unter "Widerstand" vorstellen?

Der Wert und die Berechtigung des Begriffs "Widerstand' sind in der Literatur umstritten (PETZOLD 1981). Ich verwende den Begriff hier in diesem Zusammenhang wiegen seiner Anschaulichkeit gerade auch für Nicht Psychologen. Ich bezeichne mit "Widerstand" das den meisten wohlbekannte Gefühl, gegen etwas oder gegen jemanden zu sein, sich innerlich zu wehren gegen unerwünschte Einflüsse, gegen (gefühlsmäßig unzumutbare) Forderungen oder Angriffe.

Im allgemeinen reizen drei Bedingungen einen Menschen zum Widerstand:
(1) wenn jemand ihn drängt oder zwingen will, etwas ganz Bestimmtes zu tun oder zu lassen ((Reaktanz-Phänomen; BREHM 1972 und GRABITZGNIECH 1973),
(2)  wenn von jemand erwartet wird, dass er sich ändert (Widerstand gegen Wandel; WATZLAWICK/WEAKLAND/FISCH 1974),
(3)  wenn jemand seinen Wert als Mensch in Frage stellt (Angriff auf das Selbstwertgefühl; SATYR J975).

Die Therapiesituation ist nun in besonderem Maß dazu geeignet, Widerstand beim Patienten zu provozieren. Analog  wenn auch in schwächerem Maß  gilt das auch für die Situation in Seminaren mit sprecherzieherischen Themen:
(1) Im Zusammenhang mit sprecherzieherischen Übungen erhalten die Patienten/ Kursteilnehmer häufig ganz spezifische und detaillierte Anweisungen, was sie tun bzw. lassen sollen.
(2)  Besuch eines Kurses oder eines Sprechtherapeuten implizieren die Erwartung an  den Teilnehmer bzw. Patienten, sich zu ändern.
(3) Das Misslingen einzelner Übungen kann den Patienten dazu verleiten, sich als Versager zu fühlen. Darüber hinaus kann sich der Sprecherzieher bzw. Logopäde dazu verleiten lassen, den Patienten zu kritisieren und/oder anzutreiben.

Wie manifestiert sich Widerstand des Patienten/Kursteilnehmers?

Die konkreten Manifestationen von Widerstand sind so zahlreich wie die Sätze einer Sprache. Idealtypisch lassen sich jedoch einige Arten von Widerstand unterscheiden:

(1) Widerstand durch Kooperation, Verführung, Korrumption:
Der Patient verhilft dem Therapeuten zunächst zu angenehmen und begehrten Gefühlen (z. B.. ein großartiger Therapeut zu sein) um ihn dadurch abhängig und kontrollierbar zu machen. Noch meinem Eindruck ist dieses Manöver anfangs nur einem geringen Teil der Patienten bewusst.

(2)  Widerstand durch offene Opposition, Vorwürfe, Angriffe:
Der Patient provoziert beim Therapeuten unangenehme Gefühle (z. B.. schuldig oder inkompetent zu sein) und ködert ihn gleichzeitig mit er Hoffnung, sich doch hoch kooperativ zu verhalten, Wenn der Therapeut tut, was der Patient von ihm erwartet.

(3)  Widerstand durch Rationalisierung:
Der Patient bietet dem Therapeuten rationale Erklärungen, Argumente oder Fragen an, die ihn dazu verleiten sollen, sich auf eine intellektualisierende Diskussion einzulassen ("mindfucking"; PERLS n. PETZOLD 1981). Der Therapeut gerät in Abhängigkeit vom Patienten dadurch, dass er die illusionäre Hoffnung aufrecht erhält, irgendwann den Patienten doch noch vom Wert  der speziellen Übung oder der Therapie  überzeugen zu können.

(4)  Widerstand durch Themenwechsel, Ablenkung, Verwirrung:
Das Manöver des Patienten besteht darin, dem Therapeuten immer wieder neue (irrelevante) Themen und Probleme anzubieten. Der Therapeut fühlt sich verwirrt, u.U. auch "verarscht", wird ärgerlich oder zieht sich innerlich zurück.

(5)  Widerstand durch Schweigen, Rückzug, Passivität:
Durch Schweigen und andere Formen passiven Verhaltens kann der Patient beim Therapeuten Gefühle von Ärger, Schuld oder Inkompetenz provozieren und ihn darüber zu immer neuen therapeutischen Bemühungen antreiben, die letztlich ergebnislos bleiben.

Wie vermeide ich, unnötig Widerstand zu provozieren?

Entsprechend den vorhin aufgeführten drei Bedrohungen (s.o.), die in der Regel Gefühle des Widerstandes stimulieren, vermeide  ich als Therapeut weitest möglich:

(1) ... den Patienten aufzufordern, sich in irgendeiner Weise zu ändern; im Gegenteil: Ich führe mitunter Argumente und Gründe dafür an, sich n i c h t zu ändern. Gelegentlich ermuntere ich auch Patienten, ein Symptom zumindest noch eine zeitlang beizubehalten.
Das ist eine paradoxe Technik, deren unbestrittene Wirksamkeit sich, auch so deuten lässt, dass ich den Widerstand des Patienten benutze, um eine therapeutische Änderung zu provozieren (ERICKSON/ROSSI 1981).

2.) Ich vermeide, dem Patienten Anweisungen zu geben, die ihm keine Ausweichmöglichkeiten lassen. Statt dessen betone ich von Zeit zu Zeit, dass er selbstverständlich die Freiheit hat, jede meiner Anweisungen zu befolgen oder auch nicht. Häufig formuliere ich Anweisungen von vornherein so, dass der Patient eine Reihe von Ausführungsmöglichkeiten zur Wohl hat.
Ein Aspekt dieser Technik ist darin zu sehen, dass der Therapeut stets die Kontrolle behält, gleichgültig, welche der Alternativen der Patient wählt. Die Strategie läuft darauf hinaus, dass der Patient mir keinen Widerstand leisten k a n n, weil ja alles, was immer er sich ausdenken oder was er tun mag, bereits vorsorglich von mir gebilligt wird und damit nicht mehr als Vehikel für Widerstand taugt.

(3)  Ich vermeide, den Patienten in irgendeiner Weise zu bewerten oder gar zu kritisieren  explizit oder implizit.

Mit welchen Mitteln kann ich vermeiden, unnötig Widerstand zu provozieren – und wie kann ich konkret antworten auf Manifestationen von Widerstand?

Ich möchte diese Fragen auf zwei Arten beantworten:
(1)  indem ich vier Thesen formuliere  mit einigen Erläuterungen,
(2) indem ich drei kurze Ausschnitte aus therapeutischen Dialogen analysiere und daran zeige, wie die vorgeschlagenen Mittel konkret in einem Dialog eingesetzt werden können.

Zunächst die Thesen:

These 1:

Bestimmte sprachliche Ausdrücke und Wendungen im Repertoire des Therapeuten
(A) provozieren den Patienten zum Widerstand, während andere
(B) dem Patienten helfen, sich emotional und physisch zu entspannen und damit die Bereitschaft fördern, sich zu ändern.

Beispiele für Ausdrücke und Wendungen der Kategorie (A)

(a) Verben: müssen, sollen, sich zwingen, sich überwinden, sich anstrengen, sich bemühen, versuchen, schaffen, erreichen, es klappt oder klappt nicht u.v.a.m.
(b) Pronomina: wir, man, alle, ihr, keiner, niemand u.a.
(c)  Adjektive bzw. Adverbien: falsch, richtig, gut, schlecht, hervorragend, befriedigend, ausreichend, erfolgreich u.a.
(d) Substantive: Erfolg, Misserfolg, Leistung u.a.
(e) Sätze: Sie müssen es schaffen, sich zu entspannen!  Hoffentlich klappt's diesmal.  Versuchen Sie's wenigstens! Das war nicht ganz richtig. Versuchen Sie's noch mal.

Beispiele für Ausdrücke und Wendungen der Kategorie (B)

(a) Verben: lassen, zulassen, erlauben, erfahren, erleben, tun, handeln, entscheiden,
 denken, fühlen, wahrnehmen u.v.a.m.
(13) Ausdrücke des Nicht-Wissens, Nicht-Tuns, der Nicht-Notwendigkeit, des Nicht-Anstrengens u.a.  z.B. Es ist nicht notwendig, sich anzustrengen. Ich weiß nicht, was Sie jetzt fühlen. Sie brauchen nichts zu tun,
(c) Polaritäten: das eine oder das andere; angenehm oder unangenehm; tun oder nicht tun; aktiv oder passiv;  z.B. in Sätzen wie: Ich weiß nicht, ob Sie lieber das eine oder das andere tun wollen.  Es kann sein, dass Sie bei dieser Übung angenehme oder unangenehme Empfindungen haben werden.  Sie können jetzt aktiv oder passiv sein, ganz wie Sie wollen.
(d) Verknüpfung zweier anscheinend unverträglicher Sachverhalte mit dem Bindewort „u n d": Sie können Angst haben u n d gleichzeitig lhre Zunge herausstrecken. – Sie können sich inkompetent fühlen u n d trotzdem damit anfangen, Kurse zu leiten.  Sie sind neugierig auf die Übung u n d gleichzeitig  haben Sie Angst davor. Stimmt das?  Wenn Sie in Gegenwart anderer Menschen  nicht den Mund auftun fühlen Sie sich ausgeschlossen u n d gleichzeitig auch relativ sicher. Ist das so?
(e)  Ausdrücke, die an Freude und Neugier appellieren: Experiment; neue Erfahrungen machen; Überraschung; Spiel, Spaß, etwas ausprobieren...
(f)  Ausdrücke, die Wahrnehmungen beschreiben: hart, weich, warm, kalt, laut, leise,  kräftig, gedämpft, leicht verständlich, schwer verständlich...
 (g) Metaphern, die spontanes Geschehen ausdrücken: wachsen, Wachstum, sich auflösen, sich erweitern, fließen, strömen, Fluss, Quelle...

Ganz allgemein gesprochen handelt es sich bei den Ausdrücken und Wendungen der Kategorie (A) um solche, die assoziativ verknüpft sind mit Vorstellungen von Leistung, Beurteilung und Bewertung, Anstrengung, Gefahr zu versagen. Dagegen sind die Ausdrücke und Wendungen der Kategorie (B) verknüpft mit Vorstellungen von wertneutralem Tun, Denken und Fühlen, von Kennen lernen oder distanzierten Betrachten.

These 2:

Sprechtherapie ist wirksamer, wenn der Therapeut die Ausdrücke und Wendungen der Kategorie (A) weitgehend ersetzt durch Ausdrücke und Wendungen der Kategorie (P).
Diese These leite ich ab aus den Erfahrungen aller mir bekannten Psychotherapeuten, soweit sie mir durch Literatur und Ausbildung zugänglich waren und sind und natürlich auch aus meinen eigenen Erfahrungen als Therapeut und Patient.

These 3:

Widerstand des Patienten ist nur möglich auf dem Hintergrund von Widerstand des Therapeuten (gegen den Patienten und/oder gegen die therapeutische Arbeit).
Diese Tatsache macht sich z. B.. in der Ausbildung von Sprecherziehern bemerkbar, wenn ein Student angibt, eine Formulierung der Kategorie (B) nicht sprechen zu können in einer bestimmten therapeutischen Situation, weil es sich innerlich dagegen sträube, dem Patienten ein "falsches" Verhalten zu erlauben.

These 4:

Der Therapeut kann seinen eigenen Widerstand - und damit den Widerstand des Patienten  nur auflösen, wenn er sich selbst - und auch dem Patienten - den Widerstand als legitim zugesteht,
Die These weist auf einen paradoxen Sachverhalt hin: Wenn ich als Therapeut danach trachte, den Widerstand des Patienten zu beseitigen, verstärke ich zwangsläufig in ihm das Gefühl, bedroht zu sein  und er wird seinen Widerstand ebenfalls verstärken. Erlaube ich dagegen den Widerstand  auch mir selbst  so kann ich mich weniger bedroht fühlen und brauche dementsprechend weniger Widerstand, um mich zu schützen.

Analyse dreier Ausschnitte aus therapeutischen Dialogen

1. Ausschnitt: Widerstand durch Korrumption

Pt. 1 (beim Hinausgehen noch der Sitzung) Sie machen das unheimlich gut. lch habe großes Vertrauen zu Ihnen.
Th. 2 Es ist nicht notwendig, dass Sie Ihr Licht unter den Scheffel stellen. S i e tun sich etwas Gutes, und Sie können großes Vertrauen zu sich selbst haben.
Pt.. 3 (etwas verwirrt) Danke  aber ich vertraue Ihnen wirklich!
Th. 4 Ja. Sie können darauf vertrauen, dass ich nichts tun werde, wovon ich weiß oder annehme, dass es Ihnen schaden könnte.

Kommentar und Analyse:

Pt. 1 impliziert, dass für Erfolg und Misserfolg der Therapie letztlich der Therapeut verantwortlich sei. Würde der Therapeut diese Äußerung akzeptieren, könnte sich der Pt. später jederzeit von Erfolg oder Misserfolg der Therapie distanzieren. Damit stünde auch ein anfänglicher Erfolg der Therapie auf schwachen Fußen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall wäre groß. Dieser Implikation widerspricht der Therapeut mit Th. 2. Er betont die Eigenverantwortlichkeit des Patienten in einer Form, die ihm die Annahme erleichtern soll. Mit Pt. 3 zeigt der Patient, dass die Intervention angekommen ist (Verwirrung). Gleichzeitig insistiert der Patient darauf, dem Therapeuten zu vertrauen. Mit Th. 4 akzeptiert der Therapeut jetzt die Vertrauenserklärung, deutet sie jedoch gleichzeitig in eine schiere Selbstverständlichkeit um. Damit wird die Vertrauenserklärung ungeeignet als Instrument, mit dem der Patient Druck ausüben könnte.

2. Ausschnitt: Widerstand durch offene Weigerung

Pt. 1 Diese Übung ist wirklich zu albern. Das mache ich nicht!
Th. 2 Richtig!  Wenn Ihnen diese Übung im Moment noch zu albern vorkommt, ist es nicht notwendig, sie zu machen.
Pt. 3 Haben Sie nicht einen besseren Vorschlag?
Th. 4 Ich weiß nicht, ob Sie jetzt schon bereit sind, statt dessen eine andere Übung zu machen?
Pt. 5 Ja ich meine, das kommt drauf an.
Th. 6 Was meinen Sie, worauf es ankommt?
Pt. 7 (zögernd, etwas unsicher) Ich weiß nicht. Ich kann's ja mal versuchen.
Th. 8 Ja. Sie können meinen nächsten Vorschlag einfach einmal ausprobieren und schauen, weiche Erfahrung Sie dabei machen. Natürlich haben Sie die Freiheit, das Experiment jederzeit abzubrechen.

Kommentar und Analyse:

Mit Pt. 1 widersetzt sich der Patient nicht nur offen. Er greift zugleich den Therapeuten mit dem impliziten Vorwurf an, er sei inkompetent, wenn er eine derart alberne Übung vorschlägt. An dieser Stelle gerät der Therapeut leicht in Versuchung, den Patienten davon überzeugen zu wollen, dass die Übung nicht nur nicht albern sondern auch notwendig sei usw. Ich vermute, dass der Patient eine solche Reaktion auch erwartet hat.
Mit Th. 2 Überrascht der Therapeut den Patienten und erschwert ihm zugleich die Möglichkeit, ein Streitgespräch zu führen. Darüber hinaus impliziert Th. 2, dass das Prädikat „albern" der vorgeschlagenen Übung nicht a priori zukommt, sondern dass es sich um eine zeitweilige und willkürliche Attributierung durch den Patienten handelt ( n o c h albern v o r k o m m t). Der „Nachsatz „ist nicht notwendig, sie zu machen“ impliziert, dass  falls der Patient sich entschließen würde, die Übung zu machen  dies seine freie Entscheidung wäre.
Mit Pt. 3 signalisiert der Patient, dass er seinen Widerstand noch nicht ganz aufgegeben hat. Die Gefahr besteht, dass der Patient einen anderen Vorschlag des Therapeuten wiederum ablehnen würde. Andererseits zeigt Pt. 3 auch, dass die emotionale Kraft des Widerstandes abgenommen hat. Th. 2 hat also gewirkt.
Mit Th. 4 beugt der Therapeut der möglichen Ablehnung eines neuen Vorschlags vor. Zugleich enthält Th. 4 die Botschaft "ich akzeptiere Ihren Widerstand, und ich gehe davon aus, dass Sie im Lauf der Zeit Ihren Widerstand aufgeben werden" ("ob Sie jetzt schon bereit sind"). Dies ist eine suggestive Formulierung, deren Suggestion in einer Supposition versteckt und damit während des laufenden Gesprächs nicht leicht zu entdecken ist.
Pt. 5 zeigt, dass die Suggestion angekommen ist. Der Widerstand hat sich weiter reduziert. Der Patient deutet an, dass er unter nicht näher bezeichneten Bedingungen einem neuen Vorschlag des Therapeuten zustimmen würde.
Der Therapeut akzeptiert diese Äußerung als ein Angebot (Th. 6) und fordert den Patienten auf, die Bedingungen zu nennen, Th. 6 enthält außerdem eine implizite Umdeutung der letzten Patientenäußerung (Pt. 5): In einer anderen als der therapeutischen Situation läge es nahe, auf Pt. 5 eine Antwort zu geben, wie etwa "ja gut, versuchen wir es doch mal". Diese Antwort hätte dem Patienten die Möglichkeit geboten, den Versuch abzulehnen. Wenn ich einmal annehme, dass die Äußerung Pt. 5 in diese Richtung zielte, enthält die Antwort Th. 6 insofern eine Umdeutung, als der Therapeut die vorn Patienten vermutlich nicht wörtlich gemeinte Floskel "das kommt darauf an" wörtlich nimmt und damit dem Patienten unterstellt, er wolle sich nun ernsthaft damit befassen, eine andere Übung zu machen. Dieser positiven Umdeutung zu widersprechen, wurde dem Patienten das Eingeständnis abverlangen, dass er opponieren will. Annahme der Umdeutung oder Widerspruch dagegen sind hier therapeutisch erwünschte Reaktionen. Die Äußerung Th. 6 in diesem konkreten Kontext kann damit als Beispiel einer therapeutischen Doppelbindung angesehen werden.
Pt. 7 enthält implizit eine Bestätigung für die Vermutung des Therapeuten, dass der Satz "das kommt darauf an" nicht wörtlich gemeint war (Ich weiß nicht"). Der Patient gibt sich nur selbst die Antwort, die er vermutlich zuvor vom Therapeuten erwartet hatte ("ich kann's ja mal versuchen"), nun aber, da er sich selbst auffordert, ohne Möglichkeit gegen den Therapeuten zu opponieren, der Patient hat damit ein Stück Verantwortung für sich selbst übernommen.
Der Therapeut nimmt mit Th. 8 dieses Angebot des Patienten an und bestärkt ihn darin ("Ja. Sie können meinen nächsten Vorschlag einfach einmal ausprobieren ..."). Außerdem ersetzt der Therapeut das Wort "versuchen" in Pt. 7 durch das Wort "ausprobieren" und nimmt damit dem Patienten die Möglichkeit, "beim Versuch zu scheitern". Der Nachsatz "...jederzeit abbrechen" hat die Funktion einem immerhin noch möglichen Abbruch des "Experiments" den Charakter des Widerstandes zu nehmen. Die Ausdrücke "ausprobieren ... schauen ... welche Erfahrung ... Freiheit ... Experiment" suggerieren, dass es sich n i c h t um eine Leistungssituation handelt sondern um eine Situation, in der jedes mögliche Ergebnis der Tätigkeit des Patienten seinen Wert hat.

3. Ausschnitt: Widerstand durch Rationalisieren

Pt. 1 Was soll diese (vom Therapeuten vorgeschlagene Übung) nun eigentlich bringen; ich meine, ist das irgendwie wissenschaftlich abgesichert oder so?
Th. 2 Ich weiß jetzt noch nicht, was die Übung I h n e n bringen wird. Wollen Sie's herausfinden?
Pt. 3 Ich kann mir nicht vorstellen, dass das was bringt.
Th. 4 Klar. Sie haben sie ja auch noch nicht gemacht.
Pt. 5 (zögernd, verlegen lächelnd) Ja schon, aber ich kann's mir trotzdem nicht vorstellen.
Th. 6 Offenbar ist Ihnen die Vorstellung ganz unangenehm, diese Übung zu machen. Pt. 7 Irgendwie schon, ja. Weil ich eben nicht einsehe, wozu das gut sein soll.
Th. 8  Nun gut  ich verstehe, dass Sie am methodischen Wert dieser Übung zweifeln und dass die Vorstellung, diese Übung zu machen, Ihnen sehr unangenehm ist. (Patient "hmh"). Ich denke deshalb, es ist jetzt tatsächlich noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür.  Eine andere Frage, die mich beschäftigt und über die ich gern mit Ihnen reden würde, ist, wie Sie sich wünschen, dass ich Ihnen helfen könnte, wie da Ihre Vorstellung davon ist.

Kommentar und Analyse:

Mit Pt. 1 fordert der Patient den Therapeuten zu einer rationalen Methodendiskussion heraus. In dem hier vorliegenden Kontext bedeutet diese Aufforderung zugleich den Versuch, den Verlauf der Therapiesitzung in vertraute und damit ungefährliche Bohnen zu lenken. Hinter diesem Versuch mag die vermutlich nicht bewusste Angst stehen, bestimmte schmerzliche Gefühle aus der Kindheit wieder zu erleben (z. B.. Hilflosigkeit, Verlassenheit, Demütigung).
Als Antwort könnte der Therapeut den Patienten mit dieser Vermutung konfrontieren. Da es sich hier jedoch nicht um eine Psycho- sondern um eine Sprechtherapie handelt, halte ich das folgende Vorgehen für angemessener:
Mit Th. 2 deutet der Therapeut die Herausforderung des Patienten um: Aus der allgemeinen Frage des Patienten macht der Therapeut die ganz konkrete Frage, was die Übung dem Patienten persönlich bringen könne; und er fordert nun seinerseits den Patienten heraus "Wollen Sie's herausfinden?" Hierdurch verhindert der Therapeut an dieser Stelle ein Abgleiten in einen letztlich fruchtlosen Austausch von Argumenten und Gegenargumenten, der von den ganz konkreten Problemen des Patienten ablenkt.
Der Patient beharrt mit Pt. 3 in seiner Position, allerdings weniger abstrakt ("Ich kann mir nicht vorstellen..."). Die Frage ist also nicht mehr, ob diese Übung an sich geeignet ist, "etwas zu bringen"  sondern, ob der Patient sich das vorstellen kann. Diese Verschiebung des Themas ist insofern von therapeutischem Wert, als die Vorstellung des Patienten vom möglichen Nutzen der Übung prinzipiell einer Veränderung unterliegen kann, die abstrakte Qualität einer Übung dagegen nicht.
Mit Th. 4 nimmt der Therapeut diesen Gedanken an, verstärkt ihn ("kIar") und gibt ihm darüber hinaus eine Begründung, die hier zwei Funktionen erfüllt: (a) Der Patient kann ihr kaum widersprechen, denn sie stellt etwas Offensichtliches fest; (b) zugleich verweist diese unbezweifelbare Feststellung auf den anderen ebenfalls sehr plausiblen Sachverhalt, dass nämlich die Frage, was die Übung i h m bringen könne, nur sicher beantwortet werden kann, n a c h d e m er sie gemacht hat, Damit ist die implizite Argumentation des Patienten widerlegt, er könne die Übung nicht machen, weil er nicht wisse, was sie ihm bringen werde.
Hier ist bereits sehr deutlich, wie das Gespräch auf zwei Ebenen zugleich geführt wird, auf einer impliziten und einer expliziten Ebene. Wer die implizite Ebene ignoriert, dem mag der Dialog wie ein Nonsens-Gespräch vorkommen, bei dem die Beteiligten aneinander vorbei reden. Dennoch scheint es so zu sein, dass die spezifische Dynamik dieses Gesprächs unabhängig davon ist, in welchem Ausmaß die impliziten Botschaften dem einen oder anderen Gesprächspartner bewusst sind. Für mich persönlich gilt, dass mir in der Gesprächssituation wohl einige der impliziten Aspekte bewusst sind; bei der nachträglichen Analyse entdeckte ich jedoch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, auf die ich als Therapeut zwar reagiert habe, die mir jedoch i n der Situation nicht bewusst waren.
Pt. 5 zeigt denn Therapeuten, dass sein Manöver (die implizite Argumentation des Patienten implizit zu widerlegen) gelungen ist: der Patient zögert, lächelt verlegen und sagt "ja schon...“. Gleichzeitig möchte er noch nicht aufgeben und fügt deshalb hinzu "... aber ...“.
Jetzt erst, nachdem der Widerstand des Patienten schwächer geworden ist, greift der Therapeut das den Widerstand speisende Gefühl auf (Th. 6 "Offenbar ist Ihnen die Vorstellung ganz unangenehm, diese Übung zu machen?"). Die intendierte Funktion von Th. 6 besteht darin, die Aufmerksamkeit des Patienten auf das Gefühl zu lenken, das ihn abhält, die Übung zu machen. Damit ergibt sich für den Patienten die Chance, sich damit auseinander zusetzen und u.U. die Erfahrung zu machen, dass dieses Gefühl sich verändert. Die Chance bestünde nicht, wenn der Patient und Therapeut statt dessen über den Wert oder Unwert einer Übung diskutieren.
Mit Pt. 7 lässt sich der Patient auf die Thematisierung des Gefühls ein "irgendwie schon, ja". Zugleich bleibt er jedoch in einer Trotzhaltung "weil ich eben nicht einsehe, wozu das gut sein soll“. Intuitiv interpretiert der Therapeut diese Äußerung als Signal des Patienten, dass er noch nicht bereit sei, seinen Widerstand aufzugeben.
Die, Hartnäckigkeit dieses Patienten wird diejenigen nicht überraschen, die als Therapeut mit Patienten aus technisch-naturwissenschaftlichen Berufen zu tun haben.
Häufig handelt es sich bei Angehörigen dieser Berufsgruppen um Menschen, die bereits in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben, dass sie sich durch ihren Intellekt und durch rationales Argumentieren  in ihrer spezifischen Umgebung (Familie, Schule, peers)  wirksam schützen können gegen die Bedrohung ihrer Identität und damit vor Gefühlen der Demütigung, des Schmerzes u.a.
Rationales Argumentieren hilft, unangenehme Gefühle auszublenden bzw. zu vergessen. Diese  meist unbewusste  Strategie behalten die Kinder auch später als Erwachsene bei und haben damit in der Regel im beruflichen Bereich auch Erfolg.
Als Reaktion auf Pt. 7 spürt der Therapeut bei sich selbst einen Anflug von Ärger auf den Patienten. Dieses Gefühl warnt ihn, weiter gegen den Widerstand des Patienten zu arbeiten. Er spürt die Gefahr, sich mit dem Patienten in einen Machtkampf einzulassen, der für beide mit schlechten Gefühlen und therapeutisch unergiebig enden würde. Noch einem kurzen und nur halb bewussten intuitiven Entscheidungsprozess unterbricht der Therapeut den laufenden Prozess, indem er abrupt das Thema wechselt (Th. 8).
Durch den ersten Teil von Th. 8 ("nun gut  ich verstehe, dass Sie am methodischen Wert ... zweifeln, und dass ... unangenehm ist") kann sich der Patient in seinem Bedürfnis noch Widerstand wie auch in seinen rationalen Zweifeln und in seinem Unbehagen vom Therapeuten akzeptiert fühlen. Damit kann sich das Gefühl etwas abschwächen, bedroht zu sein. Der folgende Satz in Th. 8 (Ich denke deshalb, es ist jetzt tatsächlich nicht der richtige Zeitpunkt dafür") nimmt dem Patienten eine weitere Bedrohung und damit auch einen weiteren Ansatzpunkt für Widerstand. Zugleich enthält dieser Satz Implikationen, die für spätere Phasen der Therapie wichtig werden können: a) "ich denke deshalb impliziert, dass der Verzicht auf die vorgeschlagene Übung auf einer Situationsbeurteilung und Entscheidung des Therapeuten beruht und nicht etwa vom Patienten gegen den Willen des Therapeuten durchgesetzt worden wäre
(b) "... nicht der richtige Zeitpunkt ..." impliziert, dass zwar der Zeitpunkt, nicht aber die Übung selbst ungeeignet ist.
(c) "... n o c h nicht der richtige Zeitpunkt ..." heißt: früher oder später wird der richtige Zeitpunkt kommen.
Alle drei Implikationen eröffnen die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich auf die Übung zurückzukommen, ohne dass der Patient sich dadurch nicht ernstgenommen fühlen müsste. Das wäre nicht der Fall, wenn der Therapeut statt dessen etwa gesagt hätte "Mag sein, dass diese Übung für Sie nicht geeignet ist." oder  noch weniger gut  "Na, dann lassen wir's eben."
Mit dem nachfolgenden Satz in Th. 8 ("Eine andere Frage, die mich beschäftigt...") geht der Therapeut formal auf ein anderes Thema über, um damit die mögliche Entwicklung zu einem Spiel (im Sinne der Transaktionsanalyse) zu unterbrechen. Zugleich ist die vom Therapeuten neu aufgeworfene Frage noch den Wünschen des Patienten eine implizite Aufforderung, die Verantwortung für den Fortgang der Therapie zu übernehmen. Mit dieser impliziten Aufforderung widerspricht der Therapeut einer früheren Implikation (in Pt. 1), nämlich, dass der Therapeut den Patienten nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu behandeln habe und damit für die Methoden wie für das Ergebnis der Therapie die alleinige Verantwortung trage (vgl. GEISSNERs Gedanken zur "Reparaturgesinnung").
Noch dieser detaillierten  und dennoch bei weitern unvollständigen  Analyse mag sich mancher Leser fragen, wie denn überhaupt noch Sprechtherapie möglich sein könne, wenn angeblich schon allein die Arbeit am Widerstand des Patienten so schwierig und zeitraubend sein soll. Meine Antwort darauf ist: die Arbeit am Widerstand ist bereits ein wichtiger und dazu notwendiger Teil der Therapie. Wenn ein Sprechtherapeut eine Zeitlang in der hier angedeuteten Form mit dem Widerstand des Patienten (und zwangsläufig auch mit seinem eigenen) gearbeitet hat, mag er überrascht feststellen, dass das Symptom sich verflüchtigt hat.

LITERATUR:
BANDLER/GRINDER (1975) The Structure of Magic. A Book about Language and Therapy. Band 1 und 11. Science and Behavior Books, Palo Alto. Deutsch (198), Band 1): Metasprache und Psychotherapie. Struktur der Magie. Paderborn.
BANDLER et al. (1978) Mit Familien reden. Gesprächsmuster und therapeutische Veränderung. München
BARNES G. Hrsg. (1977) Transactional Analysis after Eric Berne. New York (teilweise ins Deutsche übersetzt: Institut für Kommunikationstherapie, Kundrystr.1, 1000 Berlin 41, 1980).
BREHM J.W. (1972) Responses to loss of freedom: A theory of psychological reactance.
ERICKSON/ROSSI (1981) Hypnotherapie. München.
GRABITZGNIECH/GRABITZ (1973) Der Einfluss von Freiheitseinengung und Freiheitswiederherstellung auf den ReaktanzEffekt, Zs. f. Sozialpsychologie 1973, 4, 361365.
HALEY J. (1978) Die Psychotherapie Milton H. Ericksons. München.
HALEY J. (1977) Direktive Familientherapie. Strategien für die Lösung von Problemen. München.
HALEY J. (1978) Gemeinsamer Nenner Interaktion. Strategien der Psychotherapie. München.
JAMES M. et al. (1977) Techniqves in Transactional Analysis. Addison Wesley.
LINDEN/HAUTZINGER Hrsg. (1981) PsychotheropieManual. Berlin.
NARANJO C (1978) Techniken der Gestalttherapie. Hamburg.
PETZOLD H. (1980) Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung. Paderborn.
PETZOLD H. (1973) Gestalttherapie und Psychodrama. Kossel.
PETZOLD H. Hrsg. (1981) Widerstand  Ein strittiges Konzept in der Psychotherapie. Paderborn.
SATIR V. (1975) Selbstwert und Kommunikation. München.
VOPEL K. (1980) Handbuch für Gruppenleiter. Hamburg.
WATZLAWICK P. et al. (1974) Lösungen. Bern