[Rede Winkler]
Aristoteles

Aristoteles: Die Rhetorik ist die Kunst,
die möglichen Überzeugungsmittel
zu finden.

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Rhetorik für Führungskräfte1

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1. Rede von Prof. Dr. Heinrich August Winkler
zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges. Gehalten am 8. Mai 2015 im deutschen Bundestag. Siehe unter:

http://www.bundestag.de/mediathek?videoid=4985700#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk=&mod=mediathek

2. Prof. Dr. Heinrich August Winkler: Was Europa trotz allem Trennenden verbindet.

Dankesrede anlässlich der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, Gewandhaus Leipzig, 16. März 2016 in der auch auf die Flüchtlings- Asylfrage eingeht. (Sprung zu dieser Stelle innerhalb der Rede: Flüchtlings-/Asylfrage)

Was Europa trotz alles Trennenden verbindet

Von Heinrich August Winkler

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Tillich, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung, sehr geehrter Herr Riethmüller, meine Damen und Herren,

am Beginn können nur Worte des Dankes stehen: Dank an die Jury, die sich entschieden hat, meine vierbändige „Geschichte des Westens“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2016 auszuzeichnen; Dank an das Preiskuratorium, den Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig, den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Leipziger Messe; Dank an Volker Ullrich für seine wunderbare Laudatio; Dank an den Verlag C.H. Beck für die mustergültige Betreuung meiner Bücher seit über zwei Jahrzehnten und, was die „Geschichte des Westens“ angeht, besonders an Detlef Felken, den Cheflektor des Verlages; Dank schließlich an Frau Beate Locker vom Kulturamt der Stadt Leipzig, die großen Anteil hat an der organisatorischen Vorbereitung der heutigen Preisverleihung.

Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erinnert uns an die historische Rolle, die Leipzig in der friedlichen Revolution von 1989 gespielt hat. Die Revolutionen jenes Jahres waren die europäischste Revolution seit 1848. Ihre Vorgeschichte hatte im Sommer 1980 mit der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarność“ im polnischen Danzig begonnen. Polen war das erste Land des Warschauer Pakts, in dem die Zivilgesellschaft 1989 einen friedlichen Regimewechsel erzwang. Die Werte, für die die polnischen Bürgerrechtler stritten, waren dieselben, für die im Herbst 1989 auch in Leipzig und anderen Städten der DDR Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gingen: die unveräußerlichen Menschenrechte, die Gewaltenteilung, die Herrschaft des Rechts und die Ermittlung des Volkswillens in freien Wahlen.

Die Ideen von 1989 waren zum größten Teil keine neuen Forderungen, sondern solche, die erstmals in den beiden atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts, der amerikanischen Revolution von 1776 und der französischen von 1789, erhoben worden waren. Damals wurde der Maßstab formuliert, an dem sich westliche Demokratien seitdem messen lassen müssen. Die Geschichte des alten europäischen und des neuen nordamerikanischen Okzidents war fortan zu großen Teilen eine Geschichte von Kämpfen um die Aneignung oder Verwerfung der Ideen von 1776 und 1789. Sie war auch eine Geschichte anhaltender schwerer Verstöße gegen die damals proklamierten Werte, und sie war schließlich eine Geschichte von produktiver Selbstkritik und Selbstkorrekturen, also von Lernprozessen. Die friedlichen Revolutionen von 1989 öffneten auch jenem Teil des europäischen Okzidents, der 1945 durch die Beschlüsse von Jalta der sowjetischen Interessensphäre zugefallen war, die Möglichkeit, die Rechte und Freiheiten zu verwirklichen, die die Vollversammlung der Vereinten Nationen der ganzen Welt durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom Dezember 1948 versprochen hatte.Die Gegenwart zeigt uns, dass die Kämpfe um die Ideen des späten 18. Jahrhunderts auch im alten europäischen Okzident noch nicht abgeschlossen sind. Wenn die Europäische Kommission Anlass sieht, einen Mitgliedstaat zur Einhaltung der Kopenhagener Beitrittskriterien von 1993 und des Lissabonner Vertrags von 2009 anzuhalten, tut sie nur ihre Pflicht. Nachhaltigen Erfolg werden solche Ermahnungen freilich nur haben, wenn auch die Zivilgesellschaft des betroffenen Landes den Kampf um bedrohte Freiheiten und Institutionen zu ihrer Sache macht. In Polen geschieht das, und das sollte für uns ein Grund sein, den Glauben an die Zukunft von Rechtsstaat und Demokratie in unserem Nachbarland nicht aufzugeben.

Um Anspruch und Wirklichkeit der westlichen Werte geht es auch in der Asyl und Flüchtlingsfrage. Keine der westlichen Demokratien in Europa, Nordamerika, Australien oder Neuseeland kann die Probleme der Länder, aus denen Menschen in hellen Scharen flüchten, auf ihrem Territorium lösen. Die westlichen Demokratien können die legale Einwanderung erleichtern und die Entwicklungshilfe anders, sowohl großzügiger als auch effektiver, gestalten. Die Europäische Union muss gezielt jenen Ländern des Nahen Ostens helfen, die bei der Unterbringung und Versorgung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien die Hauptlast tragen, und alles tun, was in ihren Kräften steht, um den Friedensgesprächen über Syrien zum Erfolg zu verhelfen. Die deutsche Forderung nach einer europäischen Lösung des Flüchtlingsproblems, nach gemeinsamen Anstrengungen bei der Sicherung der Außengrenzen und einer gerechten Verteilung der Schutzsuchenden, ist wohlbegründet. Sie darf aber nicht in einer Form vorgetragen werden, die von unseren Nachbarn als selbstgerecht und anmaßend empfunden wird – als ein Versuch, zumindest auf dem Gebiet der Asylpolitik ein „deutsches Europa“ zu schaffen.

Deutschland hat sich erst sehr spät, nach dem katastrophalen Scheitern der nationalsozialistischen Diktatur, der politischen Kultur des Westens geöffnet. Es hat versucht, aus dem Fehlschlag seiner Auflehnung gegen die politischen Konsequenzen der Aufklärung in Gestalt der Ideen von 1776 und 1789 zu lernen, und dort, wo es die Möglichkeit dazu besaß, also zunächst nur im Westen des geteilten Landes, eine funktionstüchtige, pluralistische Demokratie westlicher Prägung errichtet.

Zur Selbstgerechtigkeit aber besteht kein Anlass. Das gilt auch für die Asyl- und Flüchtlingsfrage. Es gab gute Gründe, nach den Erfahrungen der Unrechtsherrschaft der Jahre nach 1933 in das Bonner Grundgesetz von 1949 den Satz aufzunehmen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Das war insofern ein Sonderweg, als fast alle anderen westlichen Demokratien das Asylrecht nicht als individuelles Grundrecht, sondern als ein vom Staat zu gewährendes Recht kennen. Die Frage, ob die Bundesrepublik damit mehr versprochen hat, als sie halten kann, wird seitdem immer wieder, auch in Deutschland selbst, gestellt. Sie lässt sich ebensowenig pauschal abweisen wie eine andere, ebenfalls selbstkritische Frage: Haben wir bei der Reform des Asylrechtsartikels im Jahr 1993 das Prinzip von 1949 nicht nur zum Schein, nämlich auf Kosten Dritter, der so genannten sicheren Drittländer, bewahrt? Wäre es nicht ehrlicher gewesen, sich zu dem Prinzip zu bekennen: Politisch Verfolgten gewährt die Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe ihrer Aufnahme- und Integrationsfähigkeit Asylrecht?

Das Prinzip, nach Maßgabe der eigenen Leistungsfähigkeit politisch Verfolgten und Bürgerkriegsflüchtlingen zu helfen, wäre eine gute Devise für alle Mitgliedstaaten der EU. Dass sie von allen befolgt wird, ist leider auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Es sind keineswegs nur die neuen, seit 2004 in die Gemeinschaft aufgenommenen Mitgliedstaaten in Ostmittel- und Südosteuropa, die sich diese Maxime nicht zu eigen machen, sondern auch Staaten, in denen Migranten einen hohen Anteil an der Bevölkerung ausmachen, wie die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich. Das wirtschaftlich starke Deutschland aber sollte auch dann Flüchtlingen nach besten Kräften helfen, wenn es damit in der Europäischen Union in der Minderheit bleibt.

Nach besten Kräften: das heißt auch, dass eine humanitäre Asylpolitik, die nachhaltig sein will, darauf achten muss, dass die Bedingungen ihrer Möglichkeit auch morgen und übermorgen noch gesichert sind. Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur die Beachtung der Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit, sondern auch der politische Rückhalt in der Bevölkerung, auf den Regierungen und Parlamente in demokratischen Staaten geradezu existenziell angewiesen sind. In seinem berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ hat Max Weber 1919 die verantwortungsethische Position (im Unterschied zur gesinnungsethischen) als die Einsicht beschrieben, „dass man für die (voraussehbaren) Folgen eines Handelns auzukommen hat.”

Eine nachhaltige, ihrer möglichen innenpolitischen Folgen bewusste Asylpolitik muss also alles tun, damit das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates erhalten bleibt.

Europa ist nicht nur auf dem Gebiet der Asyl- und Flüchtlingspolitik, sondern auch auf vielen anderen Gebieten und nicht zuletzt in der Frage der „Finalität“, der Zielrichtung seines Einigungsprozesses, uneins. Es befindet sich nicht, wie viele in Deutschland lange geglaubt haben und zum Teil noch glauben, im postnationalen Stadium seiner Geschichte. Die Europäische Union besteht vielmehr aus postklassischen Nationalstaaten, die einige ihrer Hoheitsrechte gemeinsam ausüben und andere auf supranationale Einrichtungen übertragen haben. Europa kann nicht gegen die Nationen, sondern nur mit ihnen und durch sie geeinigt werden. Der Staatenverbund der EU will die Nationen überwölben, aber nicht überwinden.

Eine bestimmte Idee von Europa zu lieben ist leicht. Sehr viel schwerer ist es, sich der hässlichen Realität nationaler Egoismen zu stellen, den Ausgleich von Gegensätzen zu suchen und weiter darauf hinzuarbeiten, dass Europa in wichtigen Fragen, vor allem denen der Außen- und Sicherheitspolitik, mit einer Stimme zu sprechen vermag. Die Vielfalt der Sprachen und kulturellen Besonderheiten steht dem nicht entgegen. Sie bleiben ein Reichtum und ein Wesensmerkmal Europas.

Doch es gibt auch die Gemeinsamkeiten, deren Pflege in erster Linie eine Sache der Zivilgesellschaften sein sollte. Eine und letztlich die wichtigste dieser Gemeinsamkeiten sind die Werte, die wir so gern die europäischen nennen, die historisch gesehen aber transatlantische oder westliche Werte und ihrem normativen Anspruch nach universal sind. Wenn der Westen sich selbst an seine Normen hält und selbstkritisch mit seinen Abweichungen davon ins Gericht geht – dann und nur dann werden die Ideen von 1776 und 1789 ihre Leuchtkraft weltweit behalten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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