Dr. Ulrich Ulonska: Gespräche führen: Unachtsamkeiten und Lösungen
In: Festschrift für Karl-Heinz Adolph. Adolph Training. Sontra. 2006.
Ich- und Du Botschaften gehören zum festen Repertoire der Sprechwissenschaft und für praktisch arbeitenden Kommunikationstrainer. Thomas Gordon nennt drei Hauptelemente einer erfolgreichen Ich-Botschaft:
* Verhalten (V) * Gefühl (G) *Wirkungen (W)
Er fügt ausdrücklich hinzu „wobei die Reihenfolge nicht entscheidend ist“ 1.) Aber ist die Reihenfolge wirklich so nebensächlich?
Ich-Botschaften wirken sehr unterschiedlich, wenn man die einzelnen drei Hauptelemente unterschiedlich strukturiert.2.) Nehmen wir ein Beispiel:
Eine typische Du-Botschaft könnte lauten: „Sie haben an allen etwas auszusetzen, Sie zerstören die ganze Diskussion. Ihre Aufgabe ist es doch...“
Die daraus resultierende Ich-Botschaft könnte dem zu Folge heißen:
* Ich habe jetzt drei Vorschläge gemacht. Sie haben jeden sofort zerlegt. (V) * Das ärgert mich. (G) * Ich möchte, dass wir auch die positiven Seiten möglicher Lösungen erwägen. (W)
Was passiert aber jetzt, wenn wir die Reihenfolge der einzelnen Bestandteile verändern?
c) Ich möchte gerne, dass wir auch die positiven Seiten möglicher Lösungen erwägen. (W) a) Ich habe jetzt drei Vorschläge gemacht. Sie haben jeden sofort zerlegt. (V) b) Das ärgert mich. (G)
Hier entsteht eine andere Wirkung. Mag das im Gespräch noch tauglich sein, so führt es zu einer Diskussion über Emotionen. Denn das letzte bleibt im Gedächtnis.
Wieder anders ist die Reihenfolge:
b) Ich ärgere mich. (G) c) Ich möchte gerne, dass wir auch die positiven Seiten möglicher Lösungen erwägen. (W) a) Ich habe jetzt drei Vorschläge gemacht. Sie haben jeden sofort zerlegt. (V)
Die Folgediskussion dürfte eher zu Streit führen.
Nehmen wir ein zweites Beispiel. Eine klassische Übung für Führungstrainings ist die folgende Situation:
Ein Abteilungsleiter ist einen Tag abwesend. An genau diesem Tag fehlt die Hälfte seiner Mannschaft. An diesem Tag macht der Vorgesetzte des Abteilungsleiters einen Gang durch die Abteilung. Er sieht: Abteilungsleiter nicht da, die Hälfte der Mannschaft fehlt. Er führt daraufhin Anwesenheitslisten ein.
Am nächsten Tag ist unser Abteilungsleiter zurück. Er bemerkt: Ich gestern nicht da, heute Anwesenheitslisten. Schwer verärgert geht er zu seinem Vorgesetzten.
Das folgende Gespräch hört sich dann z. B. so an:
„Sie haben während meiner Abwesenheit Anwesenheitslisten eingeführt. Das können Sie doch nicht machen, dass Sie so über meinen Kopf hinweg entscheiden...“ „Moment mal, Sie sind dafür verantwortlich, dass. Sie haben dafür zu sorgen... Ihr Aufgabe ist es ...“
Das sind klassische Du Botschaften, die zu Streit führen. Mit Ich-Botschaften klingt das Gespräch u. U. wie folgt:
a) Ich bin gerade durch meine Abteilung gegangen und habe gesehen, Sie haben während meiner Abwesenheit Anwesenheitslisten eingeführt. (V) b) Das ärgert mich. (G) c) Ich gerne möchte, dass wir Dinge vorher gemeinsam besprechen, bevor sie in die Tat umgesetzt werden. (W)
Wie wahrscheinlich ist die Antwort: „Sie haben aber dafür zu sorgen...“
Viel wahrscheinlicher ist: “Bitte verstehen Sie mich auch, ich bin dafür verantwortlich, dass...”
Ich-Botschaften der Reihenfolge a-b-c führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Eskalation des Vertrauens.
Nur: verändern wir auch in diesem Beispiel die Dispositio:
c) Ich gerne möchte, dass wir Dinge vorher gemeinsam besprechen, bevor sie in die Tat umgesetzt werden. (W) a) Ich bin gerade durch meine Abteilung gegangen und habe gesehen, Sie haben während meiner Abwesenheit Anwesenheitslisten eingeführt. (V) b) Das ärgert mich. (G)
Wieder anders ist die Wirkung der Aussage bei der folgenden Dispositio:
b) Ich ärgere mich. (G) c) Ich gerne möchte, dass wir Dinge vorher gemeinsam besprechen, bevor sie in die Tat umgesetzt werden. (W) a) Ich bin gerade durch meine Abteilung gegangen und habe gesehen, Sie haben während meiner Abwesenheit Anwesenheitslisten eingeführt. (V)
Die letzte Äußerung dürfte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einem Streit führen, denn Sie erregt eine Emotion.
Es entsteht ein Gefühl gegenüber der betreffenden Person, ein Affekt.
Wie ist das zu erklären? Dahinter stehen Gründe, die die Rhetorik benennt.
Die Erregung von Affekten (Pathos) ist zu einem großen Teil eine Frage der Dispositio. Bereits Aristoteles beschreibt exakt, welche Schritte ein Redner verwenden kann, wenn er Gefühle erregen will. 3.) Die Affekterregung erfolgt in drei Phasen:
a) Die gegenwärtige Verfassung oder Stimmung der/des zu Erregenden, die der Redner beschreibt oder erzeugt. (Gordon: Gefühl)4.) b) Gegenüber wem soll der Affekt erregt werden (Gordon: Wirkungen;) c) Über welche Dinge? Was hat der/die andere getan, will er/sie tun? (Gordon: Verhalten)
Interessant daran ist darüber hinaus, dass bereits Aristoteles, die drei Schritte der Gordonschen „Ich-Botschaft“ benennt. Allerdings in einer anderen Reihenfolge zu einem anderen Zweck.
Ihm geht es darum, das Wirkungsmittel Pathos in der Rhetorik zu analysieren. Er tut dies unter einem doppelten Vorzeichen:
1.) Wie können Redende Affekte erregen? 5.) 2.) Wie können Hörende empfundene Affekte auf deren rationalen Gehalt überprüfen?
Thomas Gordon hatte angemerkt, die Reihenfolge der drei Bestandteile einer Ich-Botschaft sei beliebig. Die Beispiele zeigen, dass dem nicht so ist. Die Reihenfolge
b) Gefühl c) Wirkung a) Verhalten
führt zu emotionalen Reaktionen. Die „richtige“ Dispositio der drei Schritte einer Ich-Botschaft ist entscheidend. Was bedeutet das für analytisch und praktisch arbeitende Sprechwissenschaftler und Trainer? Viele teilen die folgende Erfahrung:
Ich Botschaften sind schwer zu unterrichten. Sehr oft machen gerade Teilnehmende aus Führungsetagen mit den Ich-Botschaften ungute Erfahrungen. In der Folge nutzen sie sie nicht und lehnen sie oft als „praxisferne, gestelzte“ Sprachverwendung ab.
Die Ich-Botschaft ist ein sehr hilfreiches Werkzeug in der Sprechpädagogik, im Training. Nur: Lassen sich „Ich Botschaften“ leichter und praxisnäher trainieren? Ja!
* Ich-Botschaften werden automatisch generiert * Feed-Back Regeln werden automatisch eingehalten * Die Beziehungsebene ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit: Ich bin o.k. – Du bist o.k. durch die V-W Regel.
6.) Wie geht das?
Nahezu jeder a) Vorwurf lässt sich als b) Wunsch für die Zukunft formulieren.
„Du hast den Müll schon wieder nicht raus gebracht“
Ein klassischer Vorwurf. Die Müllabfuhr ist abgefahren. Der Müll bleibt. Darüber hinaus ein eindeutiges: Ich bin o.k. – Du nicht!7.) Nur: Nahezu jeder Vorwurf lässt sich als Wunsch für die Zukunft formulieren.
„Denkst Du bitte am Mittwoch daran, dass …“ Dazu kann der andere Stellung nehmen: „Nein, dass mache ich nicht. Diese grünen Tonnen sind im Sommer so ekelig, die fasse ich nicht an! Das ist garantiert gesundheitsschädlich!“ „O.k., was willst Du dann machen, lieber Staub saugen?“
Vorwürfe beziehen sich auf etwas Vergangenes/Abgeschlossenes. Sie signalisieren: Ich bin O. K. - Du nicht!
Über Wünsche kann man verhandeln. Wünsche signalisieren: Ich bin O. K. - Du auch!
Zum Nutzen der VW Regel:
1.) Konfliktlösung (Paartherapie)
Symptomatisch für Konflikte sowohl im Geschäftsleben als auch in zwischenmenschlichen Beziehungen sind Vorwürfe. Oft bemerken die Kontrahenten dies nicht. Sie sind der gegenseitigen Vorwurfsfalle gefangen. Sobald der Trainer/Therapeut aktiv zuhört und die Vorwürfe in Wünsche „übersetzt“ sind die Beteiligten sehr oft sehr überrascht: „Ach so, das ist Ihr/Dein Ziel. Ja, das will ich doch auch!“
2.) Feed-Back
Nahezu jede Führungskraft kennt die Feed-Back Regel: Zunächst etwas a) Positives und dann ein b) konstruktiver Veränderungsvorschlag. In Seminaren zum Verhaltenstraining ist sie eine wichtige Grundlage für das Funktionieren kooperativer Gruppen.
Nur: geht es dann an das gegenseitige „Rückmelden“ der Teilnehmenden, wird dann allzu oft doch wieder Negatives benannt: „Sie haben die ganze Zeit zu Boden geschaut!“
Sehr andere Erfahrungen mache ich, seit dem ich die oben genannte Feedback Regel mit der VW-Regel ergänze. Einige Beispiele Vorwurf/Wunsch helfen den Teilnehmenden eine wichtige Kommunikationsform leichter umzusetzen. Beispiel: „Ihre Füße haben sich die ganze Zeit bewegt.“ (Vorwurf) „Ein ruhigerer Stand wirkt an dieser Stelle sicher auf mich.“ (Wunsch)
3.) Führungsgespräche, Mitarbeitergespräche, Reden in Wirtschaft und Politik.
Diesen Aufgaben haben etwas gemeinsam. In diesen Situationen sollen Führungskräfte motivieren. Dazu gibt es eine Fülle von einzelnen rhetorischen Strategien:
* Bestimme das Thema, bleibe positiv * Nicht gegen etwas, sondern für die Alternative * Das Unbewusste kennt keine Negation (NLP). * Wenn Du willst, dass Deine Leute ein Schiff bauen, dann lehre sie die Liebe zu Meer. * und vieles mehr.
Die VW Regel fasst all das in einem Satz zusammen: Vom Vorwurf zum Wunsch!
Fazit:
- Ich-Botschaften sind ein wesentliches Werkzeug im Training. - Sie sind relativ komplex. - Viele erleben die Sprache der dreigliederigen Ich-Botschaft als „gestelzt“. - Ich-Botschaften funktionieren nur in einer bestimmten Reihenfolge der Einzelelemente. - Ich Botschaften mit einer bestimmten Dispositio wirken kontraproduktiv.
Die VW-Regel löst diese Schwierigkeiten mit einer einfachen, leicht lehr- und lernbaren Formel: Vom Vorwurf zum Wunsch.
Und damit bin ich angekommen, beim Wunsch! Ich wünsche Dir lieber Karl-Heinz zu Deinem 65. Geburtstag von ganzem Herzen alles, alles, alles Gute. Dein
Ulrich Ulonska
Anmerkungen: 1.) Gordon 1982:107 2.) Temporale Bezüge sind nicht kausale Bezüge, sie werden allerdings oft so aufgefasst. Die Tür schlug zu und die Lampe fiel um. Es besteht nicht notwendig ein kausaler Zusammenhang. Jedoch gerade die Dispositio einzelner sprachlicher Elemente führt oft zu einer sehr unterschiedlichen Wirkung. Rhetorik verstehe ich hier vor allem als Pragmatik: Welche Wirkung erzielen bestimmte rhetorische Mittel? Rhetorik als Analytik nutzt dies. Welche kausalen Bezüge werden dem Hörer suggeriert? Durch welche Vorinformationen wird seine Wahrnehmung „voreingestellt“? a) Sender A bringt folgende Nachrichten: 1. Einen Bericht über eine Demonstration. Demonstranten werfen Schaufensterscheiben ein. Sie plündern Geschäfte. Sie werfen Autos um und setzten sie in Brand. Sie errichten brennende Barrikaden. Sie brechen das Straßenplaster auf. Sie werfen mit Pflastersteinen auf Polizisten. Es werden blutüberströmte Polizisten gezeigt, am Boden liegend. Demonstranten knüppeln wild auf sie ein. Nachfolgender Bericht 2. Joschka Fischer, Außenminister, auf einer Demonstration. Wirkung? b)Sender B bringt folgende Nachrichten: 1. Einen Bericht über das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit. Was alles erreicht worden ist, seit Bestehen der Bundesrepublik, durch das im Grundgesetz fest verankerte Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit. Es wird über die Schweiz berichtet. Wie zufrieden die Schweizer mit Ihrer Regierung sind. Durch die vielen Möglichkeiten, immer wieder Einfluß nehmen zu können: Volksbefragungen, Demonstrationen, durch die Pflicht und das Recht zum Widerstand. Nachfolgender Bericht 2. Joschka Fischer auf einer Demonstration. Wirkung? Vgl. auch Ulonska:2003:239ff. 1.) Rhetorik als produktive Technik nutzt dies: Welche kausalen Bezüge werden dem Hörer suggeriert? Durch welche Vorinformationen wird seine Wahrnehmung „voreingestellt“? a)In einer Wahlkampfrede begrüßt Kandidat A alle anwesenden Berliner Spitzenpolitiker zu Beginn. Das gerät schnell in Vergessenheit. b)In einer Wahlkampfrede beschreibt Redner B die Situation im Ist-Zustand als unerträglich. Er schildert die Vorteile der Realisierung eines bestimmten Projektes: Im Anschluß daran begrüßt er den für die Finanzierung zuständigen Bundesminister mitten in der Rede an der wirksamsten Stelle. 3.) Aristoteles 1980:II,1; Seite 84. Vgl. auch Wörner 1982:140f. 4.) Sprache bildet nicht die Wirklichkeit ab. Kant schuf das „Ding an sich“, um der Wirklichkeit näher zu kommen. Konstruktivismus und NLP setzen diesen Gedanken fort: In welchen Wirklichkeiten lebe ich, in welchen die anderen, auf welche gemeinsamen Wirklichkeiten können wir uns verständigen? Rhetorik analysiert inwieweit uns eine bestimmte Wirklichkeit als real aufgezeigt wird. Zugleich liefert sie auch die Wirkungsmittel, eine bestimmte subjektive Wirklichkeit objektiv real erscheinen zu lassen. Der Fotograf Lionel Feininger hat es auf den Punkt gebracht: Nicht ist so subjektiv, wie das Objektiv. 5.) Zur Affekterregung vgl. Ulonska 1990:267ff. und Ulonska 1995. 6.) Prior: 2003:88. 7.) Harris 1985.
Literatur: Aristoteles: Rhetorik. München 1980. Gordon, T.: Managerkonferenz. Reinbek 1977ff. Harris, T.: Ich bin O.K – Du bist O.K.. Reinbek. 1985ff. Prior, M.: Mini Max Interventionen. Heidelberg 2003ff. Ulonska, U.: Suggestion der Glaubwürdigkeit. Ammersbek. 1990. Ulonska, U.: Zur Rhetorik der Affekte. In: Sprechen II/1995. Regensburg.. Seite 29ff. Ulonska, U.: Rhetorik. Stuttgart 2003. Wörner, M.: Charakterdarstellung und Redestil. In: Kühlwein/Raasch.: Stil: Komponenten - Wirkungen. Tübingen. 1982. Seite 129ff. Wörner, M.: Die argumentative Funktion von Affekten beim Reden. In: Kühlwein/Raasch: Sprache: Lehren und Lernen. Band 2. Tübingen. 1983. Seite 141ff.
Dr. Ulrich Ulonska * Privat Universität Witten Herdecke (D) * Johannes Kepler Universität Linz (A) * Universität St. Gallen (HSG) (CH) Anschrift: Dr. Ulrich Ulonska Lindenteichstraße 8 37124 Rosdorf Tel.: 05545/655-6 Internet: www.dr-ulonska.de
|