Dr. Ulrich Ulonska: Tune your voice
Die Grundlagen erfolgreicher Rhetoriktrainings: Atem, Stimme, Artikulation.
Eine rhetorische Phantasiereise.
Sprecherzieherische und sprechwissenschaftliche Übungen zu Atem und Stimme sind elementarste Voraussetzungen für erfolgreiche Rhetorikschulungen. Wenn hier etwas nicht stimmt, dann nützt die beste Rede und Körpersprache nichts.
Natürlich sollten die Lernenden wissen, was im Körper beim Sprechen passiert und wie man gezielt einzelne Dinge trainiert (Atemtechnik, Zusammenspiel Atmung - Lampenfieber, optimale Sprechstimmlage, Heiserkeit ausschließen, Artikulationspräzision etc.).
All das sollten sie auch erfahren haben, damit sie ihren Körper, ihre Stimme und ihren Geist wirkungsvoll in Rede und Gespräch einsetzen. Vertiefen kann man das mit einer kurzen Gruppenübung, die sich für den Morgen eines folgenden Seminartages anbietet.
Eine sehr schöne Übung kann dabei ein Phantasiereise sein, in die einige Übungen zu Atem und Stimme eingebaut sind. Dabei habe ich besonders darauf geachtet, hier reaktanz-mindernde Formulierungen des NLP einzubauen (1). Eine Übung, die Sprechpädagogen beliebig modifizieren können. Ich habe Teilnehmende schon an griechische Strände geschickt, durch Firmengebäude oder was auch immer der Lerngruppe gefallen mag.
Text:
„O.k. heute Morgen, als erstes, wie gestern versprochen, einige Übungen zu Atem Stimme.
Doch zuvor lassen Sie uns einmal testen, wie klingt die Stimme Morgens um … Uhr?
Nehmen wir einen bekannten Satz: Hänschen klein ging allein in den weiten Wald hinein. Lassen Sie uns diesen Satz einmal gemeinsam in Chor sprechen. Bitte achten Sie dabei auf die Stimmkraft, das Stimmvolumen und die Sprechdynamik. Machen wir es einfach eimal.
Ok. Ruhig noch einmal für das andere Ohr. Schön, aller guten Dinge sind drei, einmal können wir noch.
Ja, Stimmkraft, Stimmvolumen und Sprechdynamik bitte merken. Das war noch so richtig schön, müde, ruhig und verhalten. Genauso gehört sich das morgens um … Uhr, wenn man gerade aus den Federn kommt.
Nun, beginnen wir mit dem, was einige heute Morgen vielleicht noch nicht in aller Ausführlichkeit tun konnten. Stellen Sie sich bitte vor, sie haben noch 5 Minuten in den Federn und wir können uns noch einmal so richtig strecken, dehnen, noch einmal umdrehen und einkuscheln.
So, nun möchte ich Sie zu einem kurzen Ausflug einladen. Zu einer Phantasiereise. Zu einem Ausflug in den Harz. Dort haben wir die Gelegenheit ein Bergwerk zu besuchen. Es ist kein modernes Bergwerk, sondern ein historisches Museumsbergwerk. Das heißt: dort gibt es noch keine modernen Maschinen, aber viele sinnreiche Erfindungen durchweg mechanischer Natur.
Unser Reisebus hat einige hundert Meter vor dem Eingang des Bergwerks angehalten, die letzten Schritte legen wir zu Fuß zurück, durch den morgendlichen Wald. Sie spüren den Waldboden unter den Füßen, Laub, Tannennadeln, Humus, das federt. Sie spüren die Temperatur des morgendlichen Waldes auf der Haut. Sie hören die typischen Geräusche des Waldes. Und - Sie nehmen den Geruch des morgendlichen Waldes wahr.
So, nun erreichen wir eine Stelle, an der eine Lehm- oder Tonader unsere Weg kreuzt. Über Nacht hat es etwas geregnet und diese Stelle ist sehr, sehr glitschig. Jeder Schritt kann einen Ausrutscher bedeuten und das heißt angeschmiert für den ganzen Tag. Bitte achten Sie auf Ihre Atmung, wenn Sie versuchen auf diesem schmierseifigen Untergrund Fuß zu fassen. Das glitscht nur so weg…
So wir sind darüber weg und achten Sie bitte auch jetzt noch einmal auf Ihre Atmung.
Jetzt erreichen wir den Eingang zum Berkwerksschacht. Vor uns ist schon eine Besuchergruppe eingefahren. Unsere erste Aufgabe heute morgen ist es, die wieder an das Tageslicht zu befördern.
Der Förderkorb hängt an einem langen Seil. Das ist aufgewickelt auf einer großen Kabeltrommel. An dieser Kabeltrommel ist eine große Kurbel (Armspanne von ganz oben, ein Arm, nach ganz unten, anderer Arm). Diese Kurbel können wir jetzt in Betrieb nehmen.
So, die halbe Strecke ist zurückgelegt. Das Getriebe klinkt um. Und wir brauchen einfach nur andersherum zu kurbeln und der Förderkorb kommt weiter nach oben.
So, der Förderkorb ist oben die Besucher steigen aus und wir können einsteigen. Langsam schweben wir in die Tiefe. Zuerst spüren Sie nur leicht, wie es rüttelt und schüttelt. Das rüttelt etwas und das schüttelt langsam mehr. Sie sehen, wie das kleine, helle Viereck oben immer kleiner wird. Sie spüren, wie die Temperatur sich allmählich verändert, je tiefer wir in den Berg einfahren. Und auch der Geruch verändert sich.
Und schon sind wir unten angekommen.
Wir können uns vorsichtig in das Bergwerk hineintasten. Fackelschein erhellt die Wände, Kienspäne brennen flackernd an der Wand, Tropfen fallen fallen mit einem leichten Echo in Pfützen und Schatten huschen über das feuchte Gestein.
Nun, mit Eintrittskarte für dieses Bergwerk haben wir auch die Lizenz zum Silbererzabbau erworben, denn hier wir heute noch oft und reichlich Silber gefunden. Für jede, für jeden von uns steht eine kleine Lore bereit mit den dafür notwendigen Werkzeugen.
Die Lorenbahn ist etwas abschüssig, von daher sind die Loren gebremst. Mit so einer typischen Eisenbahnwaggonbremse. Das ist ein großes Rad. Und dieses große Rad können wir jetzt einfach einmal lösen. Es ist etwas festgerostet. So, das Rad ist los und wir weitergehen in Richtung Silberzabbaugebiet.
Jetzt erreichen wir einen Seitenstollen, der führt uns dahin, wo heute wirklich noch oft und reichlich Silber gefunden wird. Nur: Dieser Stollen ist sehr sehr niedrig. Aber, da es in Richtung Silbererzabbaugebiet geht, darf gerne überholt werden.
O.K. lassen Sie uns an dieser Stelle den Pobesatz noch einmal sprechen. Das Hänschen klein, alle gemeinsam im Chor.
Unterschied zu vorhin?
Ja, voller, mehr Volumen, mehr Sprechdynamik. Warum?
Morgens um … ist die Luft hier oben (Hochatmung). Da gehört sie auch hin, wenn man gerade aus den Federn kommt. Durch diese einfachen Übungen haben wir das Zwerchfell aktiviert. Dieses Kurbeln ist ja eine starke Flankendehnung und automatisch kommt die Stimme von hier, aus dem Bauch, aus dem Zwerchfell. Auch dieses Drehen ist eine starke Flankendehnung und automatisch kommt die Stimme von hier. Und der Entengang geht ja tüchtig auf den Bauch und automatisch ist die Stimme von hier aus gestützt.
So, wir sind durch. Hier wird wirklich noch oft und reichlich Silber gefunden. Nur, in diesem Bergwerk wird das Erz nicht geschlagen, es wird gesägt. Für jeweils zwei Personen liegt eine große Säge bereit. So ein langes Ding, mit 2 Holzgriffen. Das kennen Sie aus dem Wald vom Kaminholzsägen. Tun Sie sich bitte zu zweit zusammen und mit einem kräftigen Hauruck probieren Sie einmal, ob Sie fündig werden.
Hauruck, hau-ruck, hau-ruck.
O.K. Wir sind fündig geworden, vor uns glänzt ein schöner großer Silberklumpen. Aber da nähern sich aus einem Seitenstollen schattige Gestalten, offensichtlich in böser Absicht.
Gottseidank sind wir in fernöstlichen Kampftechniken hervorragen trainiert und beherrschen unter anderem auch den chinesischen Todesschrei. Das geht Folgendermaßen. Lassen Sie uns einmal zwei Reihen bilden, die sich gegenüber stehen, so das jeder/jeder einen Partner, eine Partnerin gegenüber hat. Vielleicht machen wir es einfach einmal vor. Beide Partner stehen sich etwa in diesem Abstand gegenüber. Springen auf einander zu und gehen in die Knie und klatschen die Hände an einander. So, und nun bitte gut festhalten. Und jetzt kommt der Todesschrei nämlich ein: Ho.
O.K. Machen wir es gleich noch einmal. Aufeinander zu springen, gleich in die Knie gehen und im Sprung schon den Todesschrei. Gut. Achten Sie bitte auf Folgendes: hinter Ihnen sind Tisch, Stühle, beim ersten Mal bitte ganz vorsichtig, ganz sanft, dann gerne steigern. Bitte achten Sie auch auch den Abstand, sonst stoßen Sie sich die Knie aneinander. O.K. verteidigen Sie Ihr Silber! O. K. Gern noch einige Male.
So, die sind wir los. Aber da nähern sich aus einem anderen Seitenstollen weitere dunkle Gestalten. Nun, wir beherrschen wir eine weitere Kampftechnik, das chinesische Schattenboxen. Bitte halten Sie von Ihrem Partner, ihrer Partnerin mindestens soviel Abstand und führen Sie bitte einen kurzen Boxkampf durch, bitte denken Sie dabei auch an die Beinarbeit. Wollen wir es gerade einmal vormachen? He, mindestens soviel Abstand. O.k., verteidigen Sie ihr Silber.
So, die sind wir nun endgültig los und frohen Herzens und stolzen Gemütes können wir dem Ausgang des Bergwerks entgegen streben. Mit der Lore, mit dem Werkzeug und mit dem Silberklumpen. Wir erreichen wieder die allseits beliebte Engstelle, die uns diesmal sehr kurz vorkommt.
Wir erreichen das Ende der Lorenbahn und können die Lore wieder bremsen. Noch wenige Schritte bis zum Förderkorb. Oben steht schon die nächste Besuchergruppe, bereit uns nach oben zu kurbeln. Wir brauchen nur einzusteigen und in langsamer Fahrt geht es nach oben. Das rüttelt etwas, das schüttelt etwas. Sie sehen, wie das kleine helle Viereck oben immer größer wird, Sie spüren, wie die Temperatur sich allmählich wieder verändert und wie auch immer mehr von der frischen Morgenluft in den Bergwerksschacht einströmt.
Und schon sind wir wieder zu Hause angekommen. Zu Hause angekommen, glaubt man uns nicht, das das Silber ist, was wir da gefunden haben. Lassen Sie uns noch einmal zwei Reihen bilden, die sich gegenüber stehen, so das jeder einen Partner, eine Partnerin gegenüber hat.
So, hier diese Reihe, Sie sind die “Ja-Sager”, fest davon überzeugt: Das ist Silber! Und Sie auf der andren Seite sind die “Nein-Sager”: Das ist doch nie und nimmer Silber. Führen Sie jetzt bitte einen kurzen Dialog. Nur mit den Wörtchen Ja und Nein. Das kann von einem liebevoll lächelnden “Ja” bis zu einem böse befehlenden “Nein” gehen.
O.K. lassen Sie uns noch einmal tauschen. Jetzt haben Sie das Ja und Sie das Nein.
Ok. Ok.
O.K. Prüfen Sie bitte Ihre Stimme angestrengt oder nicht. Wenn ja, können wir noch einmal stimmhaft summen und kauen. Mnjam, mnjam …
Lassen Sie uns an dieser Stelle noch einmal unseren Probesatz sprechen, das Hänschen klein, allen gemeinsam im Chor. Wow. Was für ein Klang. Schönen Guten Morgen. Setzen Sie sich bitte wieder.
Ergänzender Text in meinen Veranstaltungen:
Text:
Das waren einige Übungen zu Atem und Stimme und ich muss sagen, ich bin immer wieder überrascht, wie nach diesen doch so einfachen Übungen die Stimmen soviel mehr Volumen haben.
Ich weiß noch, ich hatte vor einiger Zeit die 4 Geschäftsführer einer großen Hamburger Versicherung Im Seminar. Die hatten eine zweite Firma dazu gekauft. Mit über 100 neuen Mitarbeitern. Nun wollten sie gerne eine Kennlern- und Begrüßungsveranstaltung machen. Dazu hatten Sie einen Saal angemietet, im Kongresszentrum in Hamburg. Das ganze wollten Sie auch ohne Mikrofon machen, weil es ja auch persönlicher ist. Sie haben mir erzählt, dass sie morgens im Hotel genau diese Phantasiereise gemacht haben und den ganzen Tag ganz wunderbar mit ihren Stimmen durchgekommen sind.
Und wenn man weiß, es liegt etwas wichtiges an, die paar Minuten morgens sind immer drin, dann weiß man, die Stimme sitzt gleich von Anfang an.
Nebenbei, wie war da eigentlich mit der Atmung, als wir auf diesen glitschigen, schmierigen Untergang kamen?
Aha.
Genau. Und das ist für viele die Situation. Ich stehe auf, ich gehe nach vorn ich sage etwas alle schauen mich an. Zack- ist die Hochatmung da.
Und, als Sie sie sich wieder auf dem sicheren, festen Untergrund wussten, wo war die Atmung da?
Genau, tief im Bauch. Nehmen Sie dieses Gefühl bitte in Rede und Gesprächssituationen mit.“
In einem Rhetorik Seminar haben Sie als Trainer oder Trainerin damit zugleich eine gute Überleitung zum Thema Topoi:
Übrigens, wie war es denn im Bergwerk, als wir hinunterfuhren? Kälter oder wärmer?
Ach ja?
Viele sagen, es war kälter. Andere sagen, es war wärmer.
Die Formulierung: „und Sie spüren wie die Temperatur sich verändert“, lässt jede Interpretation zu. Was immer Sie für eine Meinung haben, sie fühlen sich mit dieser Aussage angesprochen, weil sie mit Ihrer Sicht der Dinge übereinstimmt. Dahinter steckt nun wieder andere Regeln der Rhetorik.
Aber vorab: Achten Sie auf Aussagen wie: vernünftige Lösungen, gerechte Zukunft, optimale Prozesse, vieles erreicht …, denn Sie wissen ja….
Anmerkungen:
1.) * Hans Riebensahm: Anwendung Ericksonscher Sprachmuster als rhetorische Strategien in Lerngruppen. In: Hypnose und Kognition; Band 2, Heft 2, Oktober 1985
* Hans Riebensahm: Integration psychotherapeutischer Prinzipien in die sprecherzieherische Arbeit. Aus dem Arbeitsbereich Sprechkunde/Sprecherziehung in der Zentralen Einrichtung Sprachlabor der Universität Göttingen
2.) Stimmhaftes Kauen nach Fröschels, In: Wirth, Günther: Stimmstörungen. Deutscher Ärzte Verlag. Köln-Lövenich. 1979. Seite 117 f.
Literatur: Coblenzer, F./Muhar, H.: Atem und Stimme. Wien. 1986. Gundermann, H.: Heiserkeit und Stimmschwäche. Stuttgart, 1991. Habermann; G.: Stimme und Sprache. Stuttgart. 1978. Ulonska, U.: Rhetorik. Stuttgart. 2003. Ulonska, U.: Persönlichkeit, Charisma, präsent sein. In NAA 2/2008. Nürnberg
Dr. Ulrich Ulonska * Privat Universität Witten Herdecke (D) * Johannes Kepler Universität Linz (A) * Universität St. Gallen (CH) Anschrift: Dr. Ulrich Ulonska Lindenteichstraße 8 37124 Rosdorf Tel.: 05545/6556 www.dr-ulonska.de
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