Dr. Ulrich Ulonska: “Was machen die eigentlich anders?"
Rhetorik für Führungskräfte - Zum Nutzen einer systematischen Rhetorik für ein kooperatives Miteinander Festvortrag zum Jubiläum der Firma adolph-training
Das kooperative Gespräch - manchmal gibt es das, manchmal ist es erst einmal ungewohnt und nicht so leicht - aber eine rhetorische Systematik dafür - und das speziell als Rhetorik für Führungskräfte? Fragen, die sich vielleicht der ein oder andere gestellt haben mag, als die Einladung zum 20 jährigen Firmenjubiläum von Karlheinz Adolph vorlag.
"Das Motivationsgespräch ist doch Unsinn", sagte Karlheinz Adolph vor einigen Jahren zu mir, "entweder ist eine Gesprächsführung, ein Gesprächs- und damit auch ein Arbeitsklima motivierend, oder es ist es nicht. Ein Gespräch nach dem Motto: 'Komm her, jetzt motiviere ich Dich', ist reine Scharlatanerie. Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die per se motivierend für alle Beteiligten sind", fuhr er fort. Ich habe behauptet, dass eine systematische Rhetorik wesentliches zu kooperativen Gesprächen beitragen kann, und das will bewiesen werden. Das, und nur das, ist wirksame Rhetorik für Führungskräfte.
Fünf Begriffe in einer Überschrift. Rhetorik - systematisch - Miteinander - kooperativ und Nutzen. Fünf Begriffe, die den Rahmen dieses Vortrags stellen.
1. Rhetorik
Ist für den einen oder anderen Rhetorik noch die Kunst der schönen Worte und vor allem für die Rede, so wissen andere schon jetzt: Rhetorik ist mehr. Bereits der große griechische Rhetoriker Aristoteles definierte die Rhetorik als die Kunst, die möglichen Überzeugungsmittel zu finden. Die Kunst, die möglichen Überzeugungsmittel zu finden - und das gilt für Rede und Gespräch. In der Sprache der modernen Wissenschaften lautet eine gängige Definition: Die Rhetorik ist der historische Ausgangs- und Schnittpunkt der modernen mit Kommunikation befassten Einzelwissenschaften. Das heißt, hier hat die Rhetorik die Grundlagen für spezielle Einzeldisziplinen gelegt, wie z.B. Psychologie, Sprachwissenschaft, Soziologie, Politik, Wirtschaftswissenschaft, Medizin u.v.m. Und in vielen Trainingsbereichen finden wir heute auch Spezialisten: Psychologen, Soziologen, ja sogar Theologen.
Es gibt aber eine moderne Wissenschaft, die die Rhetorik gerade heute zum zentralen Gegenstand ihres Faches macht, und das ist die Sprechwissenschaft. Als Sprechwissenschaftler definiere ich unser Fach, wenn ich gefragt werde, was denn so ein Sprechwissenschaftler tut, gerne wissenschaftlich akkurat in einem Satz. Ich sage dann:
"Die Sprechwissenschaft ist der Brennpunkt einer praxisorientierten Anwendung der modernen mit Kommunikation befassten Einzelwissenschaften".
Bearbeiten also die modernen Einzelwissenschaften Teildisziplinen der Antiken Rhetorik, so fasst die Sprechwissenschaft diese Teildisziplinen - Medizin, Psychologie, Sozialpsychologie, Germanistik, Linguistik, Phonetik, Kinesiologie, Politik, Soziologie, und viele andere - wieder zu einem Gesamtkonzept zusammen. Und so ist es heute die Aufgabe der Sprechwissenschaft, zu lehren, wie sie funktioniert, die Kunst, die möglichen Überzeugungsmittel zu finden. Das heißt, heute hat die Sprechwissenschaft die Aufgabe, ein schlüssiges Gesamtkonzept bereitzustellen, das die praxisorientierte Anwendung von Kommunikation lehr- und lernbar macht.
2. Zur Systematik
Gerade in Deutschland herrscht nach 1945 der Glaube an den - wie Jürgen Habermas es formulierte - zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Ein schöner Satz: der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Was heißt das? Es heißt, wenn wir nur die richtigen Argumente haben, müssten eigentlich alle von selbst zustimmen. Jeder, der im Geschäftsleben, im Verkauf, in der Mitarbeiterführung tätig ist, weiß, dass es leider nicht immer so ist.
Der große römische Anwalt und Rhetorischer Cicero schrieb: "Denn nichts ist ja beim Reden wesentlicher, als dass der Zuhörer dem Redner gewogen ist und aß er selbst so tief beeindruckt wird, aß er sich mehr durch den Drang seines Herzens und einen inneren Aufruhr als durch sein Urteil oder seine Einsicht lenken lässt. Die Menschen entscheiden ja viel mehr aus Hass oder Liebe, Begierde oder Zorn, Schmerz oder Freude, Hoffnung oder Furcht, aus einem Irrtum oder einer Regung des Gemüts als nach der Wahrheit oder einer Vorschrift, nach irgendeiner Rechtsnorm oder Verfahrensformel oder nach Gesetzen." Und ich denke, das gilt heute noch ganz genauso.
Aristoteles und auch Cicero benennen drei große Überzeugungsmittel der klassischen Rhetorik:
a. die sachlich - logische Argumentation, b. das Ethos, die Person des Redners, seine Werte, Normen, sein Verhalten und c. das Pathos, die Gefühle, die er zeigt und auslöst.
Erst aus dem stimmigen Einklang dieser drei Überzeugungsmittel Argumentation, Person und Gefühl erwächst die überzeugende Glaubwürdigkeit des Redners. Diese Definition gilt heute z. B. in der Sozialpsychologie ganz ähnlich, wenn die Meinung eines Menschen in die konstituierenden Bestandteile Verhalten, Gefühl und Verstand differenziert wird. In vielen Firmen, in zahlreichen Hierarchie- und Arbeitszusammenhängen lebt die antike Dreiteilung der Überzeugungsmittel heute zum Teil in anderem Gewand fort.
Zum einen in der Argumentation. Die meisten Menschen, Mitarbeiter und Führungskräfte entscheiden nicht ausschließlich aufgrund rationaler Einsicht. Und ein Satz, der in dieser oder anderer Form tagtäglich in vielen Unternehmen gesprochen wird, legt davon traurige Kunde ab. Er lautet: Er mag die besseren Argumente haben, aber ich habe trotzdem recht. Zugleich ist die Argumentation die Grundlage des Geschäftslebens. Man kann Kunden, Mitarbeiter, Kollegen überreden, das hält nicht lange vor, und der Markt reguliert so etwas von selbst. Keine Firma, keine Führung kann auf dem Markt auf Dauer ohne sachlich richtige und überzeugende Argumentation überleben. Auf der anderen Seite können Sie überzeugen. und davon haben Sie sehr viel. Dann sagt der Kunde, Mitarbeiter oder wer auch immer : “Das war zum damaligen Zeitpunkt unter diesen Voraussetzungen die richtige Entscheidung”. Und davon haben Sie sehr viel!
Zum anderen die Werte des Unternehmens. Wenn heute erfolgreiche Firmen ihre eigene Philosophie, ihre Selbstdarstellung, Leitlinien und Orientierungen entwickeln und formulieren, wenn von Führungskräften erwartet wird, dass sie die Werte des Unternehmens leben, dann sind wir hier Zeugen eines kommunikativen Sammlungsprozesses, der bereits in der Antike eine der drei Säulen der Glaubwürdigkeit darstellte und den Namen Ethos trug.
Und zum dritten gibt es Firmen mit einer strengen Hierarchie von Befehl und Gehorsam. Diese Firmen zeichnen sich durch geringe Produktivität und einen hohen Krankenstand aus. Hier gilt der Satz: "Wem Gott ein Amt gibt, dem nimmt er den Verstand". In anderen Firmen, meistens den besser florierenden, haben Führungskräfte ein anderes Verhältnis zu ihren Mitarbeitern, ein kooperatives Verhältnis. Hier stimmt die Gefühlsebene. Der Mitarbeiter ist der Firma und den Vorgesetzten verbunden, und Führungskräfte begreifen sich als Mentoren, als überschauende Begleiter ihrer Mitarbeiter. Aber das erreicht man nicht, indem man den kooperativen Arbeitsstil postuliert, das erreicht man, indem man ihn lebt, indem man kommuniziert. Communicare est partizipare. Kommunizieren ist teilhaben. Und wenn der einzelne mit dem Ganzen kommuniziert, dann hat er teil, dann stimmt das Pathos. Dort hört man Sätze wie: "in 30 Jahren nicht einen Tag krank." Und das stimmt tatsächlich. Hier begegnen wir dem Pathos, dem Gefühl der Antiken Rhetorik wieder.
Drei Überzeugungsmittel sind benannt. Ethos, Pathos, Logos. Das Ethos prägt das Erscheinen des Unternehmens nach außen, es lebt durch die Menschen, die diese Werte tagtäglich vorleben. Das Pathos ist die innere Anteilnahme, der Grad der Ich-Beteiligung und Eingebundenheit, der Grad der Kommunikation der einzelnen miteinander. Die Argumentation muss stimmen. Nur wie erreichen wir das?
Bereits in der Antiken Rhetorik ist jedes dieser drei Überzeugungsmittel für die praktische Nutzanwendung in fünf Bearbeitungsschritte untergliedert. Fünf Phasen, die die Sprechwissenschaft heute ganz genauso nutzt. Wenn wir von einer systematischen Rhetorik sprechen, dann sind es diese fünf Bearbeitungsschritte, die eine gezielte kooperative Kommunikationsoptimierung fördern. Es handelt sich um
a. die Inhalte b. die Anordnung dieser Inhalte c. die sprachliche Umsetzung d. Lern- und Gedächtnistechniken e. die Präsentation, die praktische Kommunikation, das eigentliche Reden miteinander.
Wir haben die Rhetorik definiert und ihre Systematik der drei großen Überzeugungsmittel und ihrer fünf Bearbeitungsphasen behandelt. Wenden wir uns dem kooperativen Miteinander zu.
3. Kooperatives und 4. Miteinander
Nach unserer Systematik gilt es zunächst zu fragen, "Was fördert Widerstand beim Gesprächspartner und bringt Kommunikationspartner, Mitarbeiter dazu, in die innere Kündigung zu gehen, bzw. was sind die Inhalte für ein kooperatives Miteinander." Es geht also um die Frage der Inhalte.
a. inventio
Widerstand oder Reaktanz tritt ein, wenn wir in einer Kommunikation
- jemanden drängen oder zwingen, etwas ganz Bestimmtes zu tun oder zu lassen - wenn wir von jemandem erwarten, dass er sich ändert - wenn wir jemanden in seinem Wert als Mensch in Frage stellen (Angriff auf das Selbstwertgefühl)
Diese Reaktanz (Widerstand) manifestiert sich in einem der folgenden Effekte:
- die Person, deren Freiheit bedroht ist, tut genau das, was sie nicht tun soll (Trotz: Nun erst recht)
- die Person findet genau die Alternative attraktiv, die ihr genommen werden soll, und entwickelt zunehmend mehr das Gefühl, selbst entscheiden zu wollen und zu können (Verkaufstrick: Dies ist zwar unser Topmodell, aber ich denke, das kommt für Sie wohl nicht in Frage. Oder: Diese Ausführung wird eigentlich nur von sportlichen Menschen verlangt. Darf ich Ihnen mal unser Standardmodell zeigen?) - die Person demonstriert ihre Freiheit, indem sie etwas tut, das impliziert, dass sie auch die bedrohte Alternative wählen könnte (Indirekte Freiheitswiederherstellung). Rein äußerlich wird auf die Einschränkung des Verhaltensspielraums folgsam reagiert, gleichzeitig wird jedoch die eigene Freiheit demonstriert - aber heimlich. (Lesen unter der Bettdecke, ... die neue Arbeitseinteilung funktioniert nicht! usw.) - die Person greift die andere(n) Person(en) an, die ihre Freiheit bedroht, bzw. bedrohen
Diese Klippen gilt es zu umschiffen. Hier ist all das einem kooperativen Miteinander förderlich, was diese Ursachen und Auswirkungen kennt und kommunikativ im Vorfeld ausräumt. Das kann zum Beispiel durch eine entsprechende Gesprächsstruktur erfolgen. Rede- und Gesprächsstrukturen sind der zweite Bearbeitungspunkt innerhalb der systematischen Rhetorik.
b. dispositio
Die Dispositio. Der Aufbau eines widerstandsfreien und kooperativen Gesprächs folgt bestimmten beschreib- und erlernbaren Strukturen. Spätestens seit Benjamin Lee Whorf seinen Klassiker "Sprache, Denken, Wirklichkeit" veröffentlichte, als im Anschluss Paul Watzlawick nicht nur die "Anleitung zum Unglücklichsein" publizierte, sondern auch die Frage stellte "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" (Titel), begann die Philosophie des radikalen Konstruktivismus. Der Kerngedanke ist kurz formuliert, was viele erfolgreiche Verkäufer intuitiv praktizieren: Die Sprache bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern durch die Art und Weise, wie wir Sprache verwenden, gestalten wir damit die Wirklichkeitswahrnehmung unserer Zuhörer. Genauso wie die Landkarte nicht die Wirklichkeit ist, sondern nur ein Abbild der Wirklichkeit. Eine Straßenkarte bildet die Wirklichkeit ab, nur sieht der Weg nach Comberg (Ort des Firmenjubiläums) ganz anders aus, eine geologische Karte ist auch eine Wirklichkeit, nur hier sieht es ganz anders aus, auch ein Messtischblatt eines Katasteramts ist eine Wirklichkeit, und doch erfasst es die Umgebung von Comberg nur unzureichend. Die Karte ist nicht die Wirklichkeit, und auch Sprache ist nicht die Wirklichkeit. Je nachdem, wie wir Sprache verwenden, verändern wir die Wirklichkeitswahrnehmung unserer Zuhörer, Mitarbeiter und Kunden.
Dazu zwei Aspekte: Zum einen die Prinzipien der deduktiven und der induktiven Argumentation, und zum anderen zur Wirkung des primacy-recency-Effekts. Ein erstes einfaches Beispiel für eine solche Veränderung der Inhalte durch die zeitliche Struktur sind die Prinzipien der induktiven und deduktiven Argumentation.
Die deduktive Vorgehensweise schließt an einen Zielsatz eine Begründung an. Das erste Beispiel aus einem Seminar 'Wir brauchen eine Maschine, weil die alte nicht mehr die notwendige Qualität produziert, zu personalintensiv ist und zu viele Ausfallzeiten hat." Die Zielaussage steht am Anfang. Das hat folgende Nachteile:
- Unser Gesprächspartner wird unvorbereitet und mit einer nicht näher begründeten Forderung konfrontiert. Das überrollt ihn und weckt seinen Widerstand.
- Da unsere Absicht bekannt ist, werden im Falle eines Dissenses bei der nachfolgenden Begründungsdiskussion die Argumente Stück für Stück entkräftet.
- Stimmt der andere dieser Äußerung nicht sofort zu, besteht folgende Gefahr. Der andere hört bei der Begründung gar nicht mehr zu, eventuell geben wir ihm die Zeit, eine Gegenargumentation vorzubereiten.
Ein Beispiel:
Eine Psychologin möchte die Leitung einer Gruppe abgeben. Diese für sie schwierige Situation erprobt sie vorher in einem Seminar im Rollenspiel. Sie sagt:
"Guten Tag, meine Damen und Herren - ich möchte gern die Leitung der Gruppe abgeben." "Warum das?"
"Ich war bisher nur Honorarkraft im Klinikum in Göttingen, ich habe jetzt eine feste Stelle." "Das macht doch nichts."
"Gerade in der Einarbeitungszeit bin ich jetzt stark auf die neuen Aufgaben konzentriert. Ich habe jetzt nicht mehr so viel Zeit."
"Ach, dann treffen wir uns alle 14 Tage."
"Aber ich komme mit dem Auto jeweils 150 km zu Ihnen angereist, das ist mir im Augenblick wirklich alles zu viel..."
"Wir kommen auch gerne nach Göttingen."
Jedes Argument der Psychologin wird hier sofort entkräftet. Sie hatte ihr Ziel vor ihrer eigentlichen Argumentation verraten. Sie hat hier deduktiv argumentiert, einen Zielsatz vorangestellt und eine Begründung angeschlossen.
Eine andere Möglichkeit ist die induktive Argumentation. Hier werden zunächst Begründungen für etwas geliefert. Der Zuhörer weiß noch nicht, worauf der Sprecher eigentlich hinaus will. Sind die Argumente stimmig ausgewählt, wächst die Wahrscheinlichkeit für eine Zustimmung erheblich. Daraufhin formulierte unsere Psychologin im zweiten Durchlauf folgendes:
"Meine Damen und Herren, Sie wissen vielleicht, ich war bisher nur Honorarkraft im Klinikum in Göttingen. Ich habe jetzt eine feste Stelle. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass das in der Einarbeitungszeit mit einem erheblichen Arbeitsmehraufwand verbunden ist. Darüber hinaus komme ich zu unseren Treffen jeweils 150 km mit dem Pkw angereist, das ist mir im Augenblick wirklich alles zu viel. Deswegen möchte ich gern die Leitung der Gruppe abgeben."
Die Inhalte sind gleichgeblieben, die Struktur hat sich verändert und damit auch die Wirklichkeitswahrnehmung unserer Zuhörer. Sie hören die gleichen Argumente wie im ersten Beispiel. Aber die Struktur hat sich verändert. Durch den logischen Aufbau, mit dem wir unseren Gesprächspartnern Inhalte begreifbar machen, strukturieren wir auch bewusst (oder oft unbewusst) deren Wirklichkeitswahrnehmung. Für das Prinzip der induktiven Argumentation (Begründung, dann Zielsatz) sind in der Rhetorik verschiedene Strukturpläne entwickelt worden, die Helmut Geißner unter dem Begriff 5-Satz publik gemacht hat.
Das erleben wir täglich. Denken Sie an die Nachrichten im Fernsehen:
Nachrichtensendung A:
Ein Film über über verletzte Polizisten bei einer Demonstration. Blut fließt. Ehefrauen und Kinder weinen. Man sieht Steine werfende, vermummte und prügelnde Demonstranten. Ein Bild des Grauens. Die nächste Nachricht: Außenminister Fischer hat hier und dort demonstriert.
Nachrichtensendung B:
Ein Film über die wichtige Rolle von Demonstrationen für das Wesen der Demokratie. Wo wären wir heute ohne die aktiven Meinungsbekundungen vieler engagierter Bürger und Bürgerinnen. Ein Film über Bürgerwünsche und Politiker die das in die Tat umsetzen. Die nächste Nachricht: Außenminister Fischer hat demonstriert.
Sprache ist nicht die Wirklichkeit. Durch Sprache schaffen wir unterschiedliche Wirklichkeiten. Manchmal durch Zufall, manchmal aus Gewohnheit und sicher durch eine rhetorisch/psychologisch fundierte Technik.
Aber: Je nach dem, wie ein Redner, ein Gesprächspartner Inhalte zeitlich anordnet, verändern er oder sie die Wirklichkeitswahrnehmung der Zuhörer/Gesprächspartner. (Temporale Zusammenhänge sind nicht kausale Zusammenhänge.)
Ein zweites Beispiel für die Wirkung der zeitlichen Struktur bietet der primacy-recency-Effekt. Hier kann ähnlich wie in der induktiven Argumentation davon ausgegangen werden, dass der letzte Teil der Botschaft prägend im Gedächtnis bleibt. Gerade in Gesprächen werden oft zwei Aspekte, ein positiver und ein negativer Aspekt, benannt. Vergleichen Sie die Aussagen von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine aus dem vorletzten Bundestagswahlkampf (ZDF-Interview: "Was nun, Herr Kohl, was nun Herr Lafontaine ?).
Lafontaine beginnt überwiegend mit positiven Aussagen und endet meistens mit negativen Ausblicken, was alles nicht zu leisten sei, was nicht ginge. Z.B. "Die soziale Frage ist für mich die vorrangige Frage (positiv). Und ich kann mich nicht damit abfinden, dass man beispielsweise bei solchen Feierstunden nicht darüber spricht, dass es dort Menschen gibt, die eben jetzt Sorge um ihre Existenz haben, die Arbeitslosigkeit steigt und das es dort Löhne unter 600 DM gibt, die unter dem Existenzminimum liegen, das, meine ich, gehört mit dazu. Nur in Optimismus zu machen, davon halte ich nichts (negativ)."
Oder:
"Insofern hielte ich für richtig, den Leuten die Wahrheit zu sagen (positiv), und das spricht sich allmählich rum. Ich halte nichts davon, ihnen irgend etwas vorzumachen (negativ)." Wie anders wird der Sprecher aufgenommen, der sagt: "Ich halte nichts davon, den Bürgern etwas vorzumachen. Heute kommt es darauf an, den Menschen die Wahrheit zu sagen."
Anders Kohl. Er bleibt in seinen Aussagen fast immer positiv. Gelegentlich beginnt er mit negativen Aussagen, endet aber überwiegend mit positiven Ausblicken. Das erweckt beim Zuhörer den Eindruck, das hier ein Mensch spricht, der die Zukunft gestalten kann, da er bereits Zielvorstellungen entwickelt hat. Zum Beispiel:
"Ich bin jetzt ganz und gar dagegen, Personalspielereien zu machen. Wie ich auch dagegen bin, so zu tun, als sei die Wahl vorbei (negativ). Jetzt führen wir den Wahlkampf. Und dann werden wir den Wahltag haben. Und so Gott will und wenn die Wähler uns helfen, werden wir ein Fest feiern können. Und wenn das Fest herum ist, reden wir über Personal (positiv)."
Der primacy-recency-Effekt spielt in amerikanischen Wahlkämpfen und Firmendarstellungen eine erhebliche Rolle. Ähnlich wie Kohl verfährt, ist es bei amerikanischen Präsidenten und Firmenstatements üblich, die (Wahlkampf-) Strategie auf zwei Prämissen aufzubauen:
1.) bestimme das Thema
2.) bleibe positiv.
Gerade die zeitliche Abfolge prägt ja auch die Wirklichkeitswahrnehmung der Zuhörer und lässt sie die Wirklichkeit unterschiedlich erfassen. Sprache ist nicht die Wirklichkeit. Die meisten Menschen haben ein gutes Gefühl für monologische Strukturen. Diese Strukturen gelten auch für das Gespräch. Und gerade Du, Karlheinz, hast zahlreiche solcher Strukturen für zum Beispiel Mitarbeitergespräche, Orientierungsgespräche und auch Konfliktlösungsgespräche vorgestellt.
Ich fasse zusammen: Sprache ist nicht die Wirklichkeit. Gerade durch die Art und Weise, wie wir Inhalte zeitlich organisieren, strukturieren, verändern wir die Wirklichkeitswahrnehmung unserer Zuhörer. Zwei Prinzipien sind hier zu allererst zu nennen: die induktive Argumentation und der primacy-recency-Effekt.
c) elocutio
Die dritte rhetorische Bearbeitungsphase ist die Sprachebene. In der klassischen Redelehre: die Kunst der Wortwahl mit Sentenzen und Figuren. Hierher gehört z.B. der Chiasmus. Zwei Sätze, in denen einige Satzglieder überkreuz gestellt sind: "Arbeit ist nicht alles, aber ohne Arbeit ist alles nichts".
Wenn Sie fragen, wie macht sich eine kooperative Gesprächsführung hier bemerkbar, nehmen Sie heute drei Aspekte mit:
a. Ein Lehrsatz der modernen Psychologie lautet: Das Unbewusste kennt keine Verneinung. Ein abstrakter Satz, mag der ein oder andere denken und gleichzeitig, inwieweit nützt mir das? Das Unbewusste kennt keine Verneinung. Probieren wir das einmal aus. Denken Sie bitte an alles und jedes, aber nicht an eine Horde Schimpansen, die gerade den Klosterhof stürmt. - Und schon ist das Bild da. Das Unbewusste kennt keine Verneinung. "Ich darf jetzt nicht nervös werden, keinen roten Kopf bekommen", fast hypnotische Befehle, die genau den gefürchteten Zustand herbeirufen.
Das Unbewusste kennt keine Verneinung. Ziel einer kooperativen Gesprächsführung ist es daher, positive Ziele zu benennen, denn Sprache ist nicht die Wirklichkeit. Und das geht auch ins Private: "Wir wollen uns in Zukunft nicht mehr so oft streiten." Der nächste Streit ist vorprogrammiert. "Wir wollen uns in Zukunft besser vertragen." Das Unbewusste sammelt ganz andere Informationen. Sie kennen das, Sie haben ein neues Interesse oder Aufgabenschwerpunkt, auf einmal gibt es hier etwas dazu und dort in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen. Nur, wohin wir unsere Antennen ausrichten, weiche Informationen wir bewusst oder unbewusst sammeln, wohin wir unser kooperatives Gespräch lenken, das liegt in unserer Hand.
Das Unbewusste kennt keine Verneinung. Wie formulieren Sie von heute an? "Wir wollen die alten Fehler nicht mehr machen, oder sagen Sie ... ?" Nutzen Sie auch gerne die Kraft der Negation, um erwünschte Reaktionen zu fördern, indem Sie sie in Verneinungen kleiden? "Denken Sie jetzt noch nicht daran, welche Erfahrungen Sie machen, wenn Sie diese Formulierungen verwenden." "Das ist schwer, das ist ein harter Weg." Setzten Sie hier schare, Verneinungen für ein kooperatives Miteinander ein. "Das ist zunächst noch ungewohnt, das ist nicht so leicht."
b. Zum zweiten ermittelt die moderne Rhetorik, die moderne Sprechwissenschaft im Bereich drei, sprachlicher Ausdruck, Formulierungen, die geeignet sind, Widerstand zu verstärken oder zu vermindern. Wenn die Rhetorik die Kunst ist, die möglichen Überzeugungsmittel zu finden, so sind es Formulierungen, die wir in kooperativen Gesprächen ohnehin öfter durch Zufall oder Gewohnheit verwenden und die in einem systematischen Training für ein kooperatives Miteinander berußt gelernt und verankert werden.
Ein Handout liegt Ihnen vor.
Ziel dieser Formulierungen sind emotionale Bedingungen, die es dem Mitarbeiter, Kunden, Gesprächspartner erleichtern, sich auf das Ziel hin zu verändern, das er sich gesetzt hat. Zugleich sind diese Prinzipien auch Ausdruck einer bestimmten Haltung des Redners selbst gegenüber dem Gesprächspartner.
Kategorie A enthält Verben, die den Gesprächspartner in seinem Spielraum erheblich einschränken:
"Sie müssen den Helm aufsetzen."
"Es ist falsch, wenn Sie nicht mit gutem Beispiel vorangehen."
"Wir müssen mehr Leistung bringen."
"Sie müssen gut aufpassen, zwingen Sie sich, alles zu behalten. Nachher werde ich überprüfen, ob das geklappt hat."
Auch Pronomina können Widerstand aufbauen oder entschärfen: Einige praktische Beispiele:
Eine Ärztin macht Anti-Raucher-Kurse. Sie beginnt mit den Worten: " Alles, was man gelernt hat, kann man auch vergessen". Der Widerstand ist vorprogrammiert. Alles? Ihre Fremdsprachen, ihren Führerschein, ihr Fachwissen? Einiges, was man gelernt hat, kann man vergessen. o.k. Der ein oder andere mag hier an bestimmtes denken.
Oder: In einer Konferenz haben sich zwei Fraktionen gebildet. Der Wortführer der einen Partei spricht die andere Gruppe geschlossen an: "Und wenn Sie hier wollen, dass ... ; wenn Sie meinen, Dat...." Hier werden die Blöcke geschlossen und verhärtet. Mit kooperativen Formulierungen löst er die Fraktionen in Individuen auf und bahnt einen Prozess individueller Meinungsbildung an: "Und wenn der ein oder andere von Ihnen ... ; wenn einige in der Runde.... wenn einzelne..."
Zu den Adjektiven und Substantiven: Gerade in der Wirtschaft mag diese Sprache überraschen. Doch auch hier gilt: Sie können das Match gewinnen oder den Menschen. Oft ist es so, dass es normal empfunden wird, dass Mitarbeiter miteinander verglichen, beurteilt, gelobt werden. Ihre Freiheit, sich als vollwertig zu erleben, wird dadurch bedroht, wenn nicht gar tatsächlich eingeschränkt.
In meinem eigenen Tätigkeitsfeld im Training ist die Gefahr des Widerstands gegenüber Wandel besonders groß. Gerade bei nicht so leichten oder zunächst ungewohnten Übungen. Hier ist es die Aufgabe eines kooperativen Trainings, Rahmenbedingungen zu schaffen, die solche Übungen erleichtern. In solchen Situationen verwende ich oft bewusst Satzstrukturen wie z.B.: "Ich kann mir jetzt gut vorstellen, das der ein oder andere denkt (Achtung: nicht alle, nicht Sie, sondern der ein oder anderer). Ich kann mir jetzt gut vorstellen, dass der ein oder andere denkt: 'das ist ja eine kribbelige Übung, und zugleich: das möchte ich gerne schon mal ausprobieren'. Das heißt, hier ist die Übung nicht entweder kribbelig, was nahelegt, sie nicht zu machen, oder mache ich sie. Sondern sie ist kribbelig, und ich mache sie.
Oder: "ich kann mir jetzt gut vorstellen, dass einige denken: 'So ein Unsinn und zugleich: Hm, meine optimale individuelle Stimmlage, die würde ich ja gerne mal kennenlernen."' Auch hier ist die Übung nicht Unsinn, oder ich mache sie. Sondern auch, wenn ich sie zunächst für Unsinn halte, kann ich sie probieren.
Eine letzte Anmerkung zum sprachlichen Arbeitsgebiet einer systematischen Rhetorik: Die vielzitierte und als Führungs-, Verkaufs- und Gesprächstechnik immer wieder hochgelobte Fragetechnik ist ebenfalls, wenn sie zu massiv eingesetzt wird, mit einem kooperativen Gespräch wenig zusammenpassend. Fragen haben eine ganz spezifische Wirkung. Geschlossene Fragen wecken mehr Widerstand als offene Fragen. Vielleicht haben Sie schon bei sich selbst beobachtet, das Sie in Gesprächen auf Fragen, deren Bedeutung Ihnen nicht ganz klar war, eher ausweichend geantwortet haben oder das Ihnen manche Frage eher inquisitorisch erschien und Sie sich geradezu bedrängt fühlten. Wie Goethe sagt: "Man spürt die Absicht und ist verstimmt." Kleiden Sie von heute an Ihre Fragen in Aussagen ein: "ich weiß nicht, inwieweit Sie ... ; ich überlege mir gerade ... ; ich frage mich...".
Ich fasse zusammen: Der dritte Arbeitsbereich einer systematischen Rhetorik behandelt die sprachliche Gestaltung unserer Aussage. Beispiele aus diesem Bereich sind: das Unbewusste kennt keine Verneinung, spezifische sprachliche Formulierungen, die geeignet sind, Widerstand abzubauen, und letztlich reflexive, eingekleidete Fragen.
Wir haben jetzt die Bereiche
a. Inhalte (Ursachen für Widerstand), b. logische Strukturen (induktive Argumentation, primacy-recency-Effekt), und c. sprachlicher Ausdruck (das Unbewusste kennt keine Verneinung, provozierende und nicht-provozierende Sprache, eingekleidete Fragen) besprochen.
Es bleiben:
d. Lerntechniken und e. Präsentation
Ein kooperatives Miteinander ist ein stimmiges Miteinander, die einen tun es aus Zufall, die anderen aus Gewohnheit. In vielen Firmen gibt es das geflügelte Wort "x war auf einem Seminar, hoffentlich ist er in 14 Tagen wieder normal". Karlheinz, Du hast dazu einmal gesagt, und das habe ich mir gemerkt: "Wenn etwas gelernt aussieht, dann taugt es nichts."
Wie aber behalten wir all das im Gedächtnis, und wie wenden wir das an? Dazu ist ein systematisches Training, das alle rhetorischen Arbeitsbereiche berücksichtigt, unerlässlich. Eine isolierte Technik bewirkt keine Wunder. Kommunikation ist ein Fluss, wächst im prozessualen Geschehen, und das ist steuerbar, wenn man die Schritte kennt. Eine isolierte Technik ohne systematische Einbettung erzielt oft eine eher verheerende Wirkung als das gewünschte Resultat: In einem meiner Seminare war ein Betriebsleiter, dem die Technik des Aktiven Zuhörens nach eigenen Aussagen bestens bekannt war. In einem Rollenspiel zu eigenen schwierigen Situationen wollte er seinen Vorgesetzten zur Anschaffung einer neuen Maschine bewegen. Deduktiv, die Fragetechnik anwendend, sagte er "Chef, wie sieht es mit einer neuen Maschine aus?" "Wir können uns das erst mit schwarzen Zahlen und einer besseren Auftragslage erlauben, also Nein", war die Antwort. Während unser Betriebsleiter nun seinen Wunsch begründete, blätterte der andere bereits in Papieren für die weitere Tagesordnung. In dieser schwierigen Situation nahm der Betriebsleiter auf ein Wunder hoffend als letzten Ausweg, seinen Chef umzustimmen, dazu Zuflucht: "Wie, wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es keine neue Maschine?" Schön aktiv zugehört, und zugleich eine Selbstmordparaphrase. Alles hätte er wiederholen können, nur nicht diesen Zielsatz.
Die isolierte Technik des Bereichs a. (Inhalte) bedarf hier des Bereichs b. (Gesprächsstruktur) und ggf. des Bereichs c., um einen sinnvollen kooperativen Gesprächsverlauf zu ermöglichen. Das aktive Zuhören, eingebettet in eine Gesamtgesprächsstruktur mit einen gezielten induktiven Argumentationsgang und kooperativen Formulierungen lautete im zweiten Rollenspiel:
"Moment mal, Sie sagten gerade, das unsere Hauptziele schwarze Zahlen und eine Umsatzsteigerung sind?" "Ja". "Bisher ist es so, das wir Sonderaufträge abgeben, die wir nicht mehr bearbeiten können, weiterhin müssen wir auch die Fertigung von Prototypen vergeben, und die Kunden bleiben dann oft bei unseren Auftragnehmern. Darüber hinaus ist unsere alte xy sehr personalintensiv. Wenn wir hier den Kunden gezielte Angebote machen wollen und einen Preisvorteil weitergeben können, frage ich mich, wie die Firmenpolitik in der nächsten Zeit aussieht?" Hier ist das Aktive Zuhören in einen kooperativen Zusammenhang eingebunden.
Ich fasse zusammen:
Wenn Trainingselemente ihre volle Wirkung entfalten sollen, wenn Kommunikation gezielt kooperative Prozesse fördern soll und wenn darüber hinaus dem internen Klima und dem externen Erfolg Vorschub geleistet werden soll, dann ist die systematische Rhetorik die ideale Grundlage. Solch ein systematisches Training gibt es heute seit 20 Jahren zu
5.) Ihrem Nutzen
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